München – Der Stern des Biathleten Michael Greis ging 2006 bei den Olympischen Spielen in Turin auf: Mit drei Goldmedaillen gelang ihm ein ganz besonderes Kunststück. Eine derartige Ausbeute hat kein anderer deutscher Winter-Olympionike je geschafft. Wir unterhielten uns mit dem 45-jährigen Allgäuer über das Sport-Großereignis, das ihn einst berühmt gemacht hat, und die Situation im deutschen Biathlon.
Michael Greis, die Olympischen Winterspiele in Peking sind eröffnet, werden da bei einem dreifachen Olympiasieger nostalgische Gefühle wach?
(lacht) Nostalgische Gefühle? Das hört sich etwas schwerfällig an. Aber es stimmt schon, es kommen da wieder schöne Gefühle und Erinnerungen hoch. Die ARD hat erst vor Kurzem einen Rückblick auf Olympia gezeigt, da waren auch ein paar Ausschnitte mit mir dabei. Da wird das alles noch mal präsent – und ich muss sagen: Da denke ich an eine wirklich gute Zeit zurück.
Hat Olympia Ihr Leben verändert?
Definitiv. Ich bin dadurch mit einem Schlag ganz anders wahrgenommen worden, meine Bekanntheit ist auf ein ganz anderes Level gehoben worden. Aber ich wollte mich nie auf meinen Lorbeeren ausruhen. Ich wollte einfach weitermachen als Biathlet, weiter und weiter. Dabei gab es nach den Olympiasiegen viele Momente, die ich vielleicht besser ausnutzen und auskosten hätte können.
Wo sind jetzt Ihre drei Goldmedaillen?
Die lagern daheim bei meinen Eltern in Nesselwang. Aber im November hatte ich einen Vortrag, da habe ich eine Goldmedaille mitgenommen und nach Längerem wieder in der Hand gehabt.
Wie fühlt sich das Gold heute an?
Das war wie eine kleine Zeitreise zurück nach Turin im Jahr 2006. Das war ja mein Karriere-Highlight. Und mir ist auch bewusst geworden, wie viel Zeit seither vergangen ist.
Wären Sie als Trainer noch gerne bei Olympia?
Wenn sich die Möglichkeit ergeben hätte, wäre das sicher eine tolle Sache. Voraussetzung ist natürlich, dass die Rahmenbedingungen stimmen, dass man ein Team hat, mit dem man mit einer Vision und klarem Plan zu den Winterspielen fahren kann. In diesem Fall sind Olympische Spiele für mich sicher auch als Trainer sensationell, ein Traum. Da gibt es überhaupt keine Frage.
In Turin 2006 haben die deutschen Biathleten elf Medaillen gewonnen. Davon werden sie diesmal weit entfernt sein. Wie beurteilen Sie diesen Abwärtstrend?
Die Spiele in Turin waren für das deutsche Biathlon-Team wirklich unglaublich erfolgreich. Mittlerweile würde ich die Situation anders beurteilen. Mit den aktuellen Platzierungen im Nationencup – Sechster bei den Damen und Vierter bei den Herren – sieht man, dass die mannschaftliche Leistungsfähigkeit nicht mehr die Gleiche ist. Die Öffentlichkeit möchte natürlich wieder ein neues Ausnahmetalent sehen – am besten jetzt schon in Peking. Eine Trendumkehr lässt sich aber nicht so leicht bewerkstelligen. Das hat sicherlich auch der Deutsche Skiverband erkannt. Bisher vermisse ich den Mut zur Veränderung. Im Hinblick auf den nächsten Olympiazyklus wäre es ein guter Zeitpunkt die Weichen neu zu stellen.
Was ist möglich für die deutschen Biathleten in Peking?
Medaillenchancen sind sicher da. Aber es wird sehr schwierig, an die Erfolge der letzten Spiele anzuknüpfen, als Deutschland im Biathlon sieben Medaillen holte. Bei den Männern haben wir immerhin Leute dabei, die läuferisch sehr stark sind. Benni Doll, Johannes Kühn, Philipp Nawrath – wenn bei denen alles passt, können sie was reißen. Eine Medaille ist ihnen schon zuzutrauen.
Sie wissen, wie man Olympiasieger wird. Worauf kommt es an?
Dass man wenig dem Zufall überlässt. Und man muss auch das Glück des Tüchtigen haben. Dann kann es funktionieren.
Bei den Frauen sind die Chancen durch das Pech von Franziska Preuß, der besten deutschen Biathletin, beeinträchtigt. Glauben Sie, dass sie nach Verletzung und Corona-Infektion konkurrenzfähig in Peking antreten kann?
Für die Franzi wird es sicher schwer. Aber wenn sie es schafft, sich auf ihre Qualitäten zu konzentrieren, ist etwas möglich. Man muss sie natürlich aus dem ganzen Erwartungsdruck herausnehmen, den sie in Topform gehabt hätte. Vielleicht geht etwas über den Willen und den Lucky Punch, die Tagesform. Ich wünsche es ihr jedenfalls.
Denise Herrmann, die Weltmeisterin von 2019, hat bisher eine eher enttäuschende Saison geliefert. Trauen Sie ihr zu, dass sie in Peking wieder an ihre frühere Topform anknüpft?
Vielleicht liegt ihr die Höhenlage der olympischen Strecken. Läuferisch ist sie ja nach wie vor gut. Entscheidend ist bei Denise, was der Kopf macht. Ich glaube, es wird für sie verdammt schwer, in Peking optimistisch an den Start zu gehen. Auch weil durch die Probleme von Franzi Preuß noch mehr Druck auf ihr lastet.
Zurück zum Event Olympia. Schon die Spiele in Turin 2006 war umstritten. Damals hieß es, Fiat-Chef Agnelli hätte sie gekauft, Bürgerinitiativen protestierten, die Bevölkerung verhielt sich teils ablehnend. Seither hat sich der Imageverlust fortgesetzt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Ein Problem ist: Die Winterspiele wurden immer teurer. Und bei vielen entstand das Gefühl, für ein Mega-Event, das nur zwei Wochen dauert, eine Menge an Steuergeldern ausgeben zu müssen. Zudem hat natürlich das IOC mit seiner Politik zum Negativ-Image beigetragen. Und auch die Kommerzialisierung hat sich noch weiter verstärkt. Jeder versucht, Olympia zu kapitalisieren. Es wurden viele Fehler gemacht.
Der frühere Skistar Felix Neureuther zieht besonders stark an den Warnglocken. Nicht nur er stellt sich die Frage: Sind die Winterspiele noch zu retten?
Felix Neureuther hat mit der ARD einen sehenswerten Beitrag produziert, der die verschiedenen Probleme aufzeigt. Sowohl China als auch das IOC haben zurecht viel Kritik einstecken müssen. Zum Glück starten nun die Olympischen Spiele und der Sport rückt wieder in den Vordergrund. Das darf nicht heißen, dass die Probleme in Vergessenheit geraten sollen – wie zum Beispiel die Unterdrückung der Tibeter, damals nach den Spielen 2008. Uns muss auf der anderen Seite auch bewusst sein, dass China mit einem jährlichen Umsatzvolumen von über 200 Milliarden Euro unser größter Handelspartner ist. Wenn man bei Olympia in China alles negativ sieht, dann sollen sich auch die Politik und Wirtschaft entsprechend konsequent verhalten.
Es werden sicher komplizierte Spiele. Das wird auch im deutschen Team so gesehen. Der DOSB-Präsident Thomas Weikert hat dennoch gewissen Optimismus anklingen lassen und gemeint: Die Vorfreude überwiegt. Ist das auch bei Ihnen so?
Ja, natürlich. Auch wenn es schade ist, dass die Wettkämpfe wegen der Zeitverschiebung so früh stattfinden. Deswegen wird es schwierig sein, möglichst viel mitzukriegen. Aber ich freue mich trotzdem und drücke allen Sportlern die Daumen, dass alles funktioniert, sie möglichst viel Spaß haben. Olympia ist immer noch das Größte, das es für jeden Sportler gibt. Ich freue mich mit denen, die dabei sind.
Interview: Armin Gibis