Peking – Nach der Anzug-Farce um Katharina Althaus und vier weitere Weltklasse-Fliegerinnen ist die polnische Material-Kontrolleurin Aga Baczkowaska zur umstrittensten Frau des Skispringens geworden, ihr finnisches Pendant Mika Jukkara wird sogar für seinen legendären Vorgänger Sepp Gratzer untragbar: Der Streit um die obersten Regelhüter im Weltverband zieht bei Olympia weite Kreise – während der kurzen Schanzenpause in Peking brodelt es.
„Ich habe den Eindruck, dass er von heute auf morgen alles verändern und die Kontrolltätigkeit anders anlegen will. Für mich ist er momentan nicht der richtige Mann auf dem Platz, da hat man sich wohl geirrt“, polterte der Österreicher Gratzer via „Tiroler Tageszeitung“, nachdem auch Jukkara seinen Teil zu der Skisprung-Posse im Mixed-Wettbewerb am Montag mit fünf Disqualifikationen beigetragen und auch Gratzer auf die Palme gebracht hatte. „Unsere Prämisse war immer: Die Materialkontrolle darf in einem Wettkampf nie ganz im Vordergrund stehen“, so sagte er, „Sie ist eine Randerscheinung.“
Der Grantler aus Feistritz an der Gail hatte im Männerbereich als FIS-Chefkontrolleur von 1992 bis 2021 ein strenges Regiment geführt, das aber immer fair und nachvollziehbar – die Springer schätzen ihn. Zur Vorstellung seines Nachfolgers im letzten Normalschanzen-Wettkampf – ab Freitag geht es auf der Peking-Großschanze weiter – sagte er nun: „Das war ein Desaster.“
Jukkara war am Montag offiziell nur für die Kontrollen der Männer zuständig, von diesen wurde keiner disqualifiziert. Bei den Frauen muss eine Frau die heiklen und teils sehr körpernahen Überpüfungen vornehmen – Baczkowska in diesem Fall. In der Szene wird allerdings geraunt, dass der Finne dabei durchaus Einfluss auf die Polin ausgeübt habe.
Baczkowska verteidigte sich indes für ihr rigoroses Handeln. „Das ist mein härtester Tag in zehn Jahren als Materialkontrolleurin gewesen“, sagte sie: „Ich muss aber dafür sorgen, dass alle die gleichen Chancen haben, denn es geht um Gerechtigkeit.“ Dieser tat sie fünfmal genüge, fünfmal erwischte es Springerinnen aus Topnationen wegen irregulärer, angeblich aber bereits unbeanstandet getragener Anzüge.
Die Empörung war groß. „Mein Herz ist gebrochen“, meinte die in Tränen aufgelöste Silberheldin Althaus. „Wir sind schon sehr verfolgt von diesen Kontrollen“, sagte Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher.
Baczkowska konterte: „Was soll ich denn machen, wenn jemand mit einem zehn Zentimeter zu großen Anzug springt? Also bitte! Das sieht man ja schon mit bloßem Auge.“ Und ging zur Gegenattacke über: „Ich war davon ausgegangen, dass sich die Teams auf Olympia vorbereiten und den Wettkampf ernst nehmen.“
Den deutschen Teammanager Horst Hüttel erboste der Vorwurf der Anzugtricksereien. „Wir sind ja nicht bescheuert“, sagte der 53-Jährige am Dienstag in der ARD, „Das Risiko geht keine ein, da lege ich die Hand dafür ins Feuer.“ Natürlich bewege man sich an gewissen Limits, „aber die wurden ja im Einzel-Wettbewerb und vorher auch ein Stück weit angegangen und diskutiert, aber nie überzogen“, stellte Hüttel klar.
Mario Stecher, Sportdirektor der ebenfalls betroffenen Österreicher, bestätigte dann auch unfreiwillig, dass die Teams das Regelwerk eher als unverbindliche Empfehlung ansehen. „Im Weltcup gibt es Anzüge, die so groß sind, dass man glaubt, man ist beim Tiroler Zeltverleih.“ Fakt ist: Zumindest bei der Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz und der Japanerin Sara Takanashi bestätigten die Teams selbst, dass die Anzüge zu groß waren. sid/dpa