Peking/München – Eishockey-Bundestrainer Toni Söderholm ist ein kluger und eloquenter Mann. Eine gewisse Gefahr, die aus zu großem Selbstvertrauen resultieren kann, hatte er erkannt, als er die Kampfansagen seiner Spieler („Halbfinale fast schon Pflicht“, „Wir wollen Gold“) vernahm. „Besser“, sagte der Finne, „man steht nach dem Turnier in der Zeitung als davor.“ Der Einstieg in die Olympischen Spiele rechtfertigte den allseits geäußerten Optimismus jedenfalls nicht: Die deutsche Nationalmannschaft unterlag Kanada 1:5 (0:3, 1:1, 0:1).
Das ist enttäuschend, weil ein fast identisch besetztes deutsches Team bei der WM 2021 in Riga ein aus NHL-Reihen gebildetes kanadisches niedergerungen und Söderholm selbst eine strahlende Zukunft angekündigt hatte: „Ein Sieg über Kanada wird das neue Normal.“ Die Olympia-Kanadier können wie alle anderen Nationen auf keinen aktuellen NHL-Crack zurückgreifen, sondern bieten eine Mischung aus ehemals in der besten Liga tätigen Spielern und künftigen Stars wie Verteidiger Owen Power auf, dazu ein paar, die wie Ben Street in München Europa-Legionäre, aber in ihrer Heimat nicht sonderlich bekannt sind. Doch die vorhandene Routine von Akteuren wie Eric Staal (37), der als einer von wenigen Stanley Cup, Olympia- und WM-Gold gewonnen hat, genügte, um die Mannschaft von Toni Söderholm nicht ins Spiel kommen zu lassen. In der Defensive brach das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) auseinander wie zuletzt bei der WM im Juni im Spiel um Platz drei – ein 1:6 gegen die USA.
Torhüter Mathias Niederberger, der kommende Saison von den Eisbären Berlin zum EHC München wechseln wird, erwischte einen gebrauchten Tag. Wie ihm in der 11. Minute der Puck zum 0:3 ins kurze Eck flutschte, war bezeichnend – und auch durch den einen oder anderen Spagat oder einen gehaltenen kanadischen Alleingang nicht wettzumachen. Im 0:3 kulminierte ein missratenes erstes Drittel, das allerdings eine sehr umstrittene Schlüsselszene hatte. Dem 0:1 (5.) ging ein Check an den Kopf von DEB-Verteidiger Marco Nowak voraus, Kanada kam dadurch in Puckbesitz – Tor. Nowak konnte nicht weiterspielen.
Eine halbwegs gute Phase hatte die deutsche Mannschaft lediglich im zweiten Drittel, als sie durch Tobias Rieder auf kunstvolle Vorarbeit von Leo Pföderl (fischte die Scheibe mit dem Schläger aus der Luft) zum 1:3 kam (31.). Doch zwei Minuten später schoss Kanada nach ein paar Sekunden Überzahl vom Bullypunkt weg das vierte Tor, und da war dann spürbar: „Mehr war nicht drin“, wie Rieder bekannte.
Trotz einer stimmigen Aufstellung: Söderholm hatte dem Berliner Duo Marcel Noebels/Pföderl Ex-NHL-Spieler Tobias Rieder zur Seite gestellt, die Münchner Patrick Hager und Yasin Ehliz bildeten mit Tom Kühnhackl einen arbeitsamen Sturm. Die Reihe Dominik Kahun/Frederic Tiffels/Stefan Loibl sollte für Tempo stehen, Daniel Pietta, Matthias Plachta und David Wolf für Körperlichkeit. Doch es fehlte der Spirit der WM. Verloren ist durch die Auftaktniederlage allerdings noch nichts – wie 2018, als die Deutschen gegen Finnland geschwächelt hatten (2:5). Gruppenplatz eins ist mit einem 1:5 im Gepäck wohl weg, doch nicht mal der Gruppenletzte scheidet aus, sondern bekommt eine Chance in der Viertelfinal-Qualifikation. „Wir werden den Kopf nicht in den Sand stecken, wir können hier jeden Gegner schlagen“, sagt Patrick Hager, der 2018 zum Silber-Team gehörte.
Spiel Nummer zwei am Samstag (9.40 Uhr) könnte das DEB-Team aufbauen: Olympia-Gastgeber China wurde trotz zahlreicher Einbürgerungen von den amerikanischen College Boys 0:8 hergespielt.