„Die eine Chance, die man hat“

von Redaktion

Linus Straßer vor dem Slalom über seine Medaillenhoffnungen und die starke Konkurrenz

München – Im Riesenslalom am Sonntag ist Linus Straßer im ersten Lauf ausgeschieden, doch seine Chancen auf eine Medaille in seiner Lieblingsdisziplin sollten dadurch nicht beeinträchtigt sein. Denn den letzten Slalom vor Olympia hat der 29-Jährige in beeindruckender Manier in Schladming gewonnen. Der für den TSV 1860 startende Münchner hat vor seiner Abreise mit unserer Zeitung über seine Aussichten, die starke und zahlreiche Konkurrenz, aber auch seine bisherigen olympischen Erfahrungen gesprochen.

Herr Straßer, bevor wir über den Olympia-Slalom sprechen, noch kurz zu ihrem Sieg in Schladming. Welcher Moment vom 25. Januar hat sich am intensivsten eingeprägt?

Am intensivsten ist es eigentlich immer, die Ziellinie zu überqueren und dann möglichst schnell den kleinen Bildschirm zu finden. Wenn es dann grün aufleuchtet und man die 1 sieht, ist es das stärkste Gefühl, das du so bekommen kannst. In Schladming war das richtig cool, weil 100 Prozent sicher, dass ich nach meiner Fahrt die grüne Lampe sehe, war ich mir nicht.

Das Teilnehmerfeld im Slalom liegt derzeit extrem eng beieinander. Für manchen Beobachter ist es eine der spektakulärsten Saison überhaupt, fühlt sich das für euch Athleten auch so an?

Natürlich, es ist schon extrem zu sehen, wie oft dieses Jahr Athleten, die im ersten Durchgang zwischen 20 und 30 lagen, im zweiten auf Sieg fahren können oder zumindest aufs Stockerl. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Sieger. Von den ersten 15 kann wirklich jeder gewinnen, was es eben spannend macht. Ich glaube, von uns Athleten hat am Start jeder im Kopf: Okay, heute kann auch ich gewinnen.

Können Sie sich erklären, warum es dieses Jahr extremer ist als in den Jahren zuvor?

(lacht) Weil die alle fahren, als ob es kein Morgen gäbe. Das merkt man in jedem Rennen. Das Niveau ist extrem hoch, aber das war es auch schon letztes Jahr. Dann sind Jüngere dabei wie die beiden Norweger (gemeint: Atle Lie McGrath und Lucas Braathen/d. Red.). Zudem Clement Noel und Marco Schwarz, denen dieses Jahr vielleicht ein bisschen die Konstanz fehlt, die aber eigentlich immer ganz vorne mitfahren können. Ich glaube, die Mischung macht es in diesem Jahr aus.

Den einen Favoriten im Slalom gibt es nicht für Olympia, aber wie gehen Sie mit der Alles-oder-nichts-Situation um, dass gute Rennen, die nicht auf dem Podest enden, wenig wert sind?

Mir ist schon klar, dass es am Ende der eine Tag, das eine Rennen und die eine Chance ist, die man hat. Aber das kannst du nicht erzwingen. Hergehen und zu sagen, dass wäre jetzt der Tag, an dem man gewinnt, das funktioniert nicht. Da ist die Gefahr groß, dass man überpowert, sich zu viel vornimmt und das Grundlegende übersieht: einfach gut Ski zu fahren. Das ist das, was mir auch in Schladming getaugt hat: Die Herangehensweise, ganz bei mir zu sein und nur den Lauf, mich und mein Skifahren im Kopf zu haben, alles andere auszublenden und mein Rennen durchzuziehen. Das ist mir in Schladming gelungen. Das bei Olympia wieder zu schaffen, ist mein oberstes Ziel. Ob dann am Ende jemand schneller ist, ob drei Leute vor mir sind oder zehn Leute, das kann ich nicht beeinflussen.

Wie hilfreich ist es da, Erfahrung mit Großereignisse zu haben?

Ich merke schon, dass ich gelassener in die Rennen gehe. Das hilft bei dem angesprochenen Bei-sich-sein. Aber auch dabei, den Fokus auf die richtigen Sachen zu legen. Ansonsten haben die Olympischen Spiele natürlich eine andere Dimension. Es ist das größte Sportevent, das es gibt. Auch wenn es in Ländern stattfindet wie 2018 in Südkorea oder auch jetzt, in denen der Skisport nicht so groß ist. Ich kann mich noch erinnern, in Pyeongchang am Start zu stehen und mich gewundert zu haben, ob das jetzt hier wirklich Olympia ist, weil dieses Drumherum relativ minimalistisch war. Wenige Sponsorenbanner, gar nicht so viele TV-Kameras und alles sehr schlicht gehalten. Vom Kopf her war das ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Es sind dieselben Leute wie im Weltcup, aber du denkst dir: Hm, im Weltcup ist da aber eine andere Stimmung. Jetzt kenne ich das ja schon und weiß damit umzugehen.

Interview: Thomas Jensen

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