Eine Wintersporttabelle ist so stabil – oder je nach Sichtweise langweilig – wie die der Fußball-Bundesliga. Wenn man den Medaillenspiegel von Peking mit dem von Pyeongchang 2018 vergleicht: Norwegen hat wieder vor Deutschland gewonnen, sieben der damaligen Top-Ten-Nationen sind erneut unter den besten Zehn, und an der Anzahl der niederländischen Goldenen lässt sich der Anteil des Eisschnelllaufens am olympischen Gesamtprogramm ermessen. Was ebenfalls zu erkennen ist: Es gibt einen Gastgeber-Effekt. Vor vier Jahren war Südkorea Siebter, nun ist es auf vierzehn abgerutscht und China wiederum gestiegen von sechzehn auf drei und von einem Olympiasieg auf neun. Prognose: 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo dürfte China sich wieder nach unten bewegen, denn der Wintersport-Boom in einem Land, das dafür nur bedingt geschaffen ist, wird eine Illusion und eine PR-Blase des IOC bleiben, das eine unsinnige Vergabe der Spiele ja irgendwie rechtfertigen muss.
Dass die Deutschen, die sich „Team D“ nennen, wieder mit fast dreißig Medaillen von Spielen heimkehren, ist erstaunlich, weil der allgemeine Eindruck vom Sport bei uns ist, dass er eher verkümmert als prosperiert. Bei den Sommersportarten ist der durch die deutsche Wiedervereinigung entstandene Leistungseffekt längst verpufft, im Winter indes hält er an. Viele gesunde Strukturen wie das Institut FES, das fast schon konkurrenzlos gutes Material entwickelt, und die Leistungszentren in Thüringen und Sachsen wurden erhalten und verbinden sich mit dem, was die Bayern beisteuern können. Die Stärke in den Nischen hilft, den hohen Status zu erhalten, ohne ein klassisches Schneeland zu sein.
Ob der Medaillenrausch glücklich macht, ist freilich eine andere Frage. Lange zurückliegende Winterspiele, von denen das damals noch westdeutsche Team mit bescheidener Medaillenausbeute zurückgekommen ist, wecken Gefühle wie das Blättern in einem alten Fotoalbum: Bobhelden, die aus Ohlstadt kamen, Eisschnelllauf-Sensation 1972 durch Moni Pflug, die Gold-Rosi von 1976 natürlich oder Peter Angerer, der 1984 Biathlon auf die Liste der Sportarten setzte, die als attraktiv wahrgenommen wurden. Wir erinnern uns sogar an die, die nie was gewannen, sondern nur „bester Mitteleuropäer“ sein konnten wie Skilangläufer Walter Demel. Der moderne Reißbrett-Wintersport, so fürchten wir, wird solche wohligen Erinnerungen nicht hinterlassen.
Guenter.Klein@ovb.net