Das Verhältnis zwischen Deutschland und seinen Tennis-Helden war immer gespalten. Boris Becker fühlt sich qua seines Selbstverständnisses nicht genug wertgeschätzt. Steffi Graf entfloh dem Hype und lebt ebenso in den USA wie Tommy Haas. Auch Rainer Schüttler und Charly Steeb wohnen lieber in der Schweiz. Einzig Patrik Kühnen (Wahlheimat Dubai) als Turnierdirektor in München und Michael Stich als Ex-Boss in Hamburg sind hin und wieder präsent. Selbst von Angelique Kerber, dreifache Grand-Slam-Gewinnerin, werden in zehn Jahren wohl nur noch Experten sprechen.
Auch Alexander Zverev ist Mitglied der illustren Reihe. Er hat zuletzt viel investiert in seine Beziehung zu Deutschland. Das musste er auch. Denn als Emporkömmling und neue Tennis-Hoffnung erarbeitete er sich – nicht ohne Grund – schnell das Image eines patzigen Schnösels. Das Land wurde nie richtig warm mit dem Schlaks, der zwar in Hamburg geboren ist, aber schon als Kind mit seinem Bruder Mischa und ihren russischen Eltern auf der Tour unterwegs war. Das lag auch an der international ausgerichteten Vermarktungsstrategie von Ex-Manager Patricio Apey.
Für eine (vorübergehende?) Wende seiner Wahrnehmung sorgte sein Olympiasieg 2021 in Tokio. Zverev kämpfte aufopferungsvoll für Deutschland und setzte sich für andere Sportarten ein. Nach seiner Rückkehr aus Japan agierte er volksnah und wurde zur Krönung zum Sportler des Jahres gewählt. Es schien, als hätte man endlich zueinander gefunden.
Doch nach seinem Acapulco-Auftritt wird Bruder Mischa, der ihn mittlerweile betreut, einige Wogen glätten müssen. Dass es inakzeptabel ist, seinen Schläger auf Fußhöhe gegen den Schiedsrichter-Stuhl zu schmettern, ist klar. Auch die daraus resultierende Turnier-Disqualifikation ist folgerichtig, das muss auch Zverev einsehen.
Darüber, wie man nun mit ihm umgeht, kann man aber streiten. Alte Ausraster-Szenen von John McEnroe rufen in den sozialen Medien regelmäßig Begeisterungsstürme („Legende“, „ein echter Typ“, „das fehlt heute“) hervor. Doch wer heute nicht der Norm entspricht (siehe auch Kyrgios oder Medwedew) wird hart verurteilt. Man muss Zverev nicht mögen oder gar bewundern, er wird sicher auch nie Everybody’s Darling. Aber er hat Ecken und Kanten, man kann sich an ihm reiben. Auch das ist etwas wert in der oft medial glattgebügelten (Sport-) Welt.
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