München – Der Betriebshof der Münchner Olympia-Eishalle ist ein Geheimtipp für Autogrammsammler. Hier parkt der Bus des gastierenden Eishockey-Teams, die Spieler kommen nach ihren Matches aus einer unscheinbaren Seitentür des alten Stadions und haben sechzig, siebzig Meter Fußweg vor sich. Auf dieser Strecke sind sie ansprechbar. Es ist halt nur Eishockey – und die Nachfrage verhalten.
Am 24. April 2014 erlebte Münchens Betriebshof andere Szenen, tumultartige. Hunderte Menschen bildeten eine Traube vor der Hallentür, sie warteten auf einen Mann: Alexander Owetschkin. Russland hatte gegen Deutschland ein WM-Vorbereitungsspiel bestritten – mit Owetschkin. Es war eines der wenigen Jahre, in denen die Washington Capitals die Playoffs in der NHL verpasst hatten, somit war der Superstar für die russische Nationalmannschaft greifbar. Er kommt dann verlässlich. Schon weil Wladimir Putin das will.
Owetschkin (36) darf sich zum Freundeskreis des Präsidenten rechnen, und er ist einer der wenigen russischen Sportler, den die Sanktionen gegen sein Land nicht betreffen. Er steht im 17. Jahr bei den Washington Capitals unter Vertrag, er ist ihr Franchise Player, ihre Tormaschine, ihr Erfolgsgarant. Die Unterwerfung des amerikanischen Hauptstadtclubs geht so weit, dass er einen Shit-storm über sich ergehen ließ, den er für das eilig erlassene Verbot von Ukraine-Fahnen in der Halle abbekam. Vorsichtshalber wurde auch das Mitbringen von Russland-Insignien untersagt, doch die Intention ist klar: Owetschkin soll nicht verärgert werden. Der Spieler selbst hat sich nur vage geäußert, dass er für Frieden und Krieg nichts Gutes sei – doch er sah keine Veranlassung, das Profilbild seines Instagram-Accounts zu ändern: Es zeigt ihn einträchtig mit Putin.
In Eisstadien weltweit gibt es Solidaritätsbekundungen für die Ukraine, in Krefeld, wo das Team eine starke russische Prägung hat, hielt der lettische Geschäftsführer Sergej Saweljew eine bewegende Ansprache: „Wir sind im Herzen bei den Menschen in der Ukraine.“
Doch der Konsens ist nicht weltweit. Es gibt vor allem eine verstörende Stimme: René Fasel, der 27 Jahre lang Präsident des Eishockey-Weltverbandes IIHF war und im vergangenen Herbst zu dessen Ehrenpräsidenten ernannt wurde, bezeichnete den Ausschluss von russischen und belarussischen Teams von allen Turnieren dieses Jahres, inklusive der Männer-A–WM, als „Hysterie“. Er schloss sich dem Narrativ der russischen Regierung an, wonach an dem Konflikt „auch der Westen verantwortlich“ sei. Die Nähe des Schweizers, der in seinen Anfangsjahren als IIHF-Chef noch als Zahnarzt praktizierte, ist bekannt. Im Kinofilm „Red Pinguins“ von 2019, der die wilden Jahre des russischen Eishockeys nach dem Zerfall der Sowjetunion zeigt, ist er immer wieder auf der Tribüne bei Spielen in Moskau zu sehen. Vor einem Jahr versuchte er, Minsk als WM-Standort zu retten, legendär seine warmherzige Umarmung mit Diktator Lukaschenko bei einem Besuch in Belarus.
Der smarte Fasel (72) galt immer als der Mann, der das russische Megaprojekt Kontinental Hockey League (KHL) an Europa anbinden sollte. Doch der KHL wird Putins Krieg zusetzen. Sie versucht, mit den Playoffs Normalität vorzugaukeln, doch trotz des sportlichen Reizes verlassen die Ausländer fluchtartig ihre Clubs. Bei Salawat Ufa gingen die drei Finnen und der Norweger. Beim nächstem Spiel wurde feierlich eine Zeichnung gezeigt, auf der das Vereinsmaskottchen einen russischen Soldaten umarmt.
Jaromir Jagr spielte auch mal in der KHL. Seine Ressentiments gegen Russland, die er mit seiner Rückennummer 68 als Reminiszenz an den Prager Frühling zum Ausdruck gebracht hatte, stellte er dafür zurück. Nun bezieht er wieder klare Gegenposition. Jagr, mit 50 immer noch Spieler, hat nun eine große Hilfsaktion für Flüchtende aus der Ukraine ins Leben gerufen. Sein Club Kladno verlegte das Spiel gegen Sparta Prag nach Prag, wo die Halle 17 000 Plätze hat. Der Erlös soll ukrainischen Müttern in Tschechien zukommen.