Zhangjiakou – Direkt hinter der Linie fiel Leonie Walter entkräftet auf den Rücken – doch als klar war, dass die 18 Jahre alte Biathletin Paralympics-Gold gewonnen hat, gab es kein Halten mehr. „Ich habe die ganze Zeit nach oben geschaut und mich gefragt: Wo bleibt die Zeit“, erzählte Walter am Dienstag mit zittriger Stimme: „Dann sind alle aufgesprungen, und ich wusste, ich hab’s.“
Im Teamkreis werden Walter und ihre drei Jahre jüngere Zimmergenossin Linn Kazmaier nur die „Küken-WG“ genannt. Und die liefert bei den Paralympics in Peking zuverlässig. Doch mit dieser goldenen Krönung durch Walter hätte niemand gerechnet.
Die zehn Kilometer in der Klasse der Sehbehinderten hatte die Schülerin in der Loipe von Zhangjiakou mit bemerkenswerter Coolheit gemeistert. Beim Live-Anruf bei Mutter Renate im Schwarzwald während eines ARD-Interviews verschlug es ihr dann aber die Sprache. Lachend und kommentarlos hörte sie sich an, wie die Mutter ihr zurief, wie „unfassbar“ und „unglaublich“ das alles sei. Und dass „ganz St. Peter jetzt auf dich wartet.“
Mit Silber für Fahnenträger Martin Fleig und Bronze für Anja Wicker gab es sogar einen kompletten Medaillensatz für den Deutschen Behindertensportverband (DBS). Doch das zweite Gold nach dem von Anna-Lena Forster in der Super-Kombination überstrahlte am Dienstag alles. Und war die Krönung dee Paralympics von Leonie Walter und ihrer WG. Nach zweimal Silber der 15 Jahre alten Kazmaier und zuvor zweimal Bronze für Walter hat das sehbehinderte Teenager-Duo aus der „Küken-WG“ nun schon fünf Medaillen geholt.
„Das ist über alle Erwartungen hinaus“, sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Der 75-Jährige war außer Atem, er war auf der Ziellinie neben Walter hergelaufen, um sie anzufeuern. „Und nun strahle ich mit der Sonne um die Wette“, sagte er.
Dass die zuvor stets direkt vor Walter platzierte Kazmaier am Dienstag pausierte, sei kein Fehler gewesen, beteuerten alle. „Man muss vorsichtig sein, was man einem 15-jährigen Körper zumutet“, sagte Beucher. Quade erklärte, man könne eine so junge Athletin nicht sechsmal starten lassen. Und Bundestrainer Ralf Rombach stellte gleich die nächste Überraschung in Aussicht: „Linn wollte gerne für den Sprint viele Körner haben.“
Bei den erfahrenen nordischen Athleten war es bis Dienstag nicht so gelaufen, doch es folgte die Erlösung. Wicker wurde von der US-Amerikanerin Oksana Masters jubelnd im Ziel empfangen. Auch Beucher fand, dass Wicker „bärenstark“ gelaufen war. Fleigs Leistung sei ebenfalls „sensationell“ gewesen: „Und das, nachdem er bisher so enttäuscht war.“ In den ersten beiden Rennen hatte der Freiburger Rang fünf und neun belegt. Wicker war einmal Fünfte geworden und hatte in der Folge erst einmal auf den zweiten Start verzichtet.
Fleig erklärte deshalb auch, er sei „mega erleichtert und superhappy. Ich war vor heute schon stolz wie Harry auf unser Team, weil ich mich mega für die Jungen gefreut habe. Jetzt selbst auf dem Podium zu stehen, ist aber auch sehr cool.“ dpa