Sakhir – Um kurz nach acht Uhr gestern Morgen sorgte Mercedes für minutenlange Schockstarre bei der Konkurrenz. Besonders beim Erzrivalen Red Bull schrillten plötzlich alle Alarmglocken. Als Mercedes seinen Silberpfeil mit Namen W13 aus der Garage schob, stimmte etwas nicht mit der Form des Rennwagens. Beim genaueren Hinschauen war klar: Die Seitenkästen sind genau wie die Kühlschlitze ultraschlank und extrem hochformatig gebaut. Das Auto sieht aus wie ein Kampfjet — und hat gar nichts mehr mit dem Auto zu tun, das Mercedes noch bei den ersten Übungsfahrten zur neuen Saison in Barcelona vorgeführt hatte.
Allein: Vorgeführt fühlen sich jetzt die Rivalen von Lewis Hamilton, Toto Wolff und Co. Bereits in den Tagen vor dem Test poppten entsprechende Gerüchte über einen superinnovativen Mercedes auf. Jetzt ist klar: Sie stimmen. Vor allem aber fragt sich die Formel-1-Gemeinde nun: Hat Mercedes damit wie sein Vorgängerteam Brawn 2009 – damals war es bekanntlich der Doppeldiffusor – den Stein der Weisen gefunden?
Tatsache ist: Mercedes hat ein extrem enges Packaging gewählt. Die Außenhaut schmiegt sich so eng an Kühler und Hybrid-Systeme wie nie zuvor. Der Unterboden ragt weit über die Karosserie hinaus. Doch damit nicht genug: Auch einen neuen Frontflügel und Finnen im Bereich der Außenspiegel hat die Mannschaft aus Brackley ans neue Auto geschraubt.
Gegen den ultraschlanken Silberpfeil wirken alle anderen Autos wie Hobbysportler mit Wohlstandsbäuchlein. Wie im richtigen Leben gilt auch in der Formel 1: Schlank = schnell. Grund: Je weniger Verwirbelungen auf dem Weg zum Heck durch zu viel Bodywork geschaffen werden, desto besser funktioniert die Aerodynamik.
Red-Bull-Teamchef Christian Horner hat deshalb unter der Hand schon mit Ärger gedroht. Er glaubt, der neue Silberpfeil verletze den Geist des neuen Reglements. Der Brite stellt damit die Legalität der neuen Teile infrage. Die PR-Abteilung ruderte aber umgehend zurück und betonte, Horner habe offiziell mit keinem Journalisten gesprochen. Was er natürlich sehr wohl getan hatte.
Red Bull lässt lieber die anderen mit dem Finger auf den Mercedes zu zeigen. So hat nach Informationen unserer Zeitung Ferrari schon eine Anfrage bei der FIA gestartet, welche die Legalität des „Silberpfeils“ überprüfen soll.
Bei Mercedes reagiert man gelassen. Man hätte schon im Vorfeld alle Teile überprüfen lassen und grünes Licht bekommen, konterte Teamchef Toto Wolff. Bleibt die Frage, ob es nur extrem oder zu extrem ist. Red-Bull-Superhirn Adrian Newey, damals noch für McLaren-Mercedes aktiv, hatte mit dem MP4-18 einen ähnlichen Grenzgänger konstruiert. Nur: Was auf dem Papier als unschlagbare Revolution galt, erwies sich in der Praxis als Fehlkonstruktion. Der Rennwagen war so auf Kante gebaut, dass er nie im Rennen eingesetzt wurde. Zu kleine Lufteinlässe und ein zu enges Bodywork führten zu Überhitzungsproblemen. Das hofft man jetzt auch bei Ferrari und Co. Darauf verlassen sollten sie sich aber lieber nicht.
Red Bulls Weltmeister Max Verstappen gab sich unterdessen in der Sache entspannt. „Alle Autos sehen unterschiedlich aus. Keiner von uns versteht sie gut genug, um sagen zu können, was funktioniert und was nicht“, sagte der 24-Jährige. „Wir können uns nur auf uns selbst konzentrieren.“ Hamiltons Teamkollege George Russell freute sich, dass der Mercedes „heute Morgen viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen“ hat: „Ich bin stolz, Teil eines Teams zu sein, das Innovationen nach vorne treibt. Aber es geht nicht darum, wie das Auto aussieht – sondern wie schnell es ist.“