Sakhir – Dem ewig Lächelnden ist das Lachen mittlerweile vergangen. McLaren-Fahrer Daniel Ricciardo (32), bisher der Vorzeige-Lila-Laune-Bär der automobilen Königsklasse, geliebt von den Mädels, verehrt von den Jungs, hat der graue Alltag jetzt brutal eingeholt. Vor dem Start der neuen Saison am Sonntag in Bahrain (16 Uhr MEZ/Sky) ist nicht mehr viel übrig von Ricciardos Selbstbewusstsein, das zu seinen Red-Bull-Zeiten Teamkollegen Sebastian Vettel zum Selbstzweifeln brachte und selbst dessen Nachfolger, Wunderkind Max Verstappen klar machte, dass es auch andere Rennfahrer gibt, die wissen, wo sich das Gaspedal befindet.
Fest steht: Seit der Australier, der eine Zeichnung des todesmutigen Honigdachs als Symbol für seine eigene Einstellung auf seinem Helm trägt, 2021 zu McLaren wechselte, ging es abwärts. Selbst sein Sieg beim letztjährigen Grand Prix von Italien, der achte seiner Karriere, half nicht, das angekratzte Image wieder aufzupolieren. Denn der britische Teamkollege Lando Norris (22) war – wie die ganze Saison – auch in Monza schneller unterwegs als der Australier. Norris aber wurde von seinem Team aufgefordert, den vor ihm liegenden Teamkollegen nicht zu attackieren, um den Doppelsieg des Traditionsrennstalls in diesem entscheidenden Moment nicht zu gefährden.
Dass Ricciardo das ganze Jahr Mühe hatte, sich an das Fahrverhalten des McLaren zu gewöhnen, der ganz nach den Wünschen von Norris entwickelt und abgestimmt wurde – das ging unter, weil in der schnelllebigen Formel 1 nur auf Ergebnisse geschaut wird und nicht auf Hintergründe.
Mit Norris ist das größte Problem des Australiers auch schon beim Namen genannt. Es liegen nicht nur zehn Lebensjahre zwischen den beiden, sondern Welten an Charakter und Lebenseinstellung. Millionärssohn Norris, zugegebener Maßen mit extrem viel Rennfahrer-Talent gesegnet, macht kein Hehl mehr daraus, dass er keine großen Sympathien für Ricciardo hegt. Norris strahlt aus, dass McLaren sein Team ist und er alles wegbeißen will, was diese Situation ändern könnte. Einen Asphalt-Cowboy wie Ricciardo erst recht. Das machte er in der aktuellen Netflix-Dokumentation all zu deutlich.
In der gleichen Doku sah man auch erstmals den anderen Ricciardo. Hadernd mit sich selbst und fast schon verzweifelt, angesichts der Tatsache, dass er nicht nur einen extrem schnellen Teamkollegen hat, sondern mit diesem auch einen extrem giftigen Rivalen, auf den McLaren langfristig setzt.
Allein: Das Duell der Fahrer sieht man bei McLaren sogar als leistungsfördernd. „Ein gesunder Konkurrenzkampf ist gut,“ sagt McLaren-Boss Zak Brown, „man muss ihn nur unter Kontrolle halten.“
Fest steht: Der Australier spürt gerade den größten Druck seiner bisherigen Karriere. Viel hat er sich vorgenommen für dieses Jahr. Er wollte seinen Fahrstil dem McLaren anpassen und von Anfang an Norris zeigen, wo der Hammer hängt. Bei den ersten Tests in Barcelona schien es für den Australier auch in die richtige Richtung zu gehen. Bei den Übungsfahrten in Bahrain wollte er den nächsten Schritt machen, doch dann wurde er positiv auf Corona getestet. Er musste in Quarantäne, Norris musste bzw. konnte die Testfahrten alleine bestreiten. „Norris konnte nichts besseres passieren“, analysierte Sky-Experte Ralf Schumacher spontan, „für Ricciardo ist dass alles andere gut.“ Den Grund liefert der sechsmalige GP-Sieger gleich mit: „Beim ersten Rennen in Bahrain wird der McLaren jetzt mit der Abstimmung fahren, wie sie Norris haben will.“
Für Ricciardo wird es jetzt ein Wettlauf mit der Zeit. An diesem Donnerstag kann er sich frei testen, wenn es optimal mit der Genesung läuft. Dann könnte er am ersten Rennen teilnehmen. Den Freitag muss er dann dafür nutzen, die verlorene Zeit vom Bahrain-Test nachzuholen. Der bayerische McLaren-Teamchef Andreas Seidl geht davon aus, dass es so kommt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Daniel im Auto sitzen wird. Wir stehen voll zu ihm und wissen, was wir an ihm haben.“
Allein: Einen Plan B hat McLaren trotzdem schon. Sollte es mit Ricciardo nicht klappen, steht mit Alpine-Junior Oscar Piastri schon ein Ersatzmann bereit. Zynisch, aber typisch für die gnadenlose Formel 1, die mehr als jede andere Sportart nach dem Credo lebt: „Der König ist tot, es lebe der König“ Piastri ist nämlich auch Australier.
Ricciardo gibt sich kämpferisch. „Ich habe den Honigdachs nicht zufällig als Symbol gewählt. Der kleine Dachs kämpft sogar mit Löwen und schlägt sie in die Flucht, wenn er sich bedroht fühlt. So bin ich auch.“ Ob ihm das gelingt? Die Antwort auf diese Frage ist eine der spannendsten in der diesjährigen Formel-1-Saison. RALF BACH