Moskau – International löste die Meldung Kopfschütteln aus. „Jenseits von Satire“ nannte der britische Premierminister Boris Johnson das am Mittwoch verkündete Interesse des russischen Fußballverbandes an der Ausrichtung der EM 2028. „Es ist extrem seltsam, dass sie sich blamieren mit etwas, was klar zum Scheitern verurteilt ist“, befand der langjährige britische Verbandsboss David Bernstein. Der einstige FIFA-Vizepräsident Jim Boyce forderte eine „sofortige“ Zurückweisung der Bewerbung.
Während Staatspräsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg in der Ukraine ungebremst fortsetzt, spielt der russische Fußballverband die Lage herunter. Die sei dynamisch, der negative Trend könne sich auch wieder ändern, sagte Verbandschef Alexander Djukow. Dabei hatte am Mittwoch auch der zunächst zögerliche Welt-Schwimmverband Fina russische Sportler ausgeschlossen und dem nationalen Verband die für Dezember geplante Kurzbahn-WM in Kasan entzogen.
Und der europäische Fußballverband Uefa befasst sich offenbar mit Gedanken über einen kompletten Ausschluss Russlands, nachdem bisher nur russische Mannschaften von allen laufenden Wettbewerben ausgeschlossen wurden. Das Exekutivkomitee sei „in Bereitschaft“, um „außerordentliche Sitzungen“ einzuberufen, teilt die Uefa gestern mit. Dabei werde es darum gehen, „die rechtliche und faktische Situation neu zu bewerten und gegebenenfalls weitere Entscheidungen zu treffen, auch im Hinblick auf die Interessenbekundung des russischen Fußballverbands für die Ausrichtung der Europameisterschaft“.
Nach außen hin reklamiert man in Russland eine ungerechte Behandlung durch die internationalen Sportverbände. Im Land schafft man sich derweil ein sportliches Paralleluniversum. Während die internationale Eiskunstlauf-Elite gerade in Montpellier ihre Weltmeister ermittelt, treffen sich die russischen Stars in Saransk zur Channel One Trophy, die als Gegenveranstaltung zur WM gilt. In Montpellier sind die russischen Eiskunstläufer wegen des Krieges nicht startberechtigt. Auch die 15-Jährige Kamila Walijewa, deren Dopingverfahren nach dem Olympia-Start in Peking unter Vorbehalt noch läuft, tritt in Saransk an.
Putin schart derzeit zahlreiche Sportler um sich, die seinen Kurs öffentlich mittragen. Turner Iwan Kuliak hatte Anfang März beim Weltcup in Doha bei der Siegerehrung auf seinem Trikot anstelle des Wappen ein „Z“ als Zeichen der Unterstützung für den Krieg Russlands in der Ukraine getragen. Der frühere Eiskunstläufer Jewgeni Pluschenko und andere Stars der Szene nahmen kürzlich an Putins Auftritt im Moskauer Lushniki-Stadion zum Jahrestag der Krim-Annexion teil. Pluschenko plant auch eine Showtournee durch die Separatistengebiete im Osten der Ukraine.
Im Lushniki-Stadion hätte Russland gestern eigentlich gegen Polen zum Playoff-Spiel in der WM-Qualifikation antreten sollen. Dass es solche Spiele mit russischer Beteiligung so schnell wieder geben könnte, glaubt man wohl – trotz gegenteiliger Verlautbarungen – auch in Russland nicht. sr/sid/dpa