Bogota – Das Schicksal hat Tatjana Maria, die früher noch Malek hieß, in ihrer Karriere oft auf eine schwere Probe gestellt. Sie überstand eine lebengefährliche Lungenembolie nur knapp, der frühe Tod ihres geliebten Vaters Heinrich warf sie zwischendurch schwer aus der Bahn. Aber Maria ließ sich dennoch nicht unterkriegen, sie kämpfte sich erst ins Leben und dann auch auf den Tennisplatz zurück. Um dann dort noch ihr privates Glück mit Ehemann und Trainer Charles und späten sportlichen Erfolg zu finden.
Im Frühjahr 2022 jedenfalls hat die gebürtige Bad Saulgauerin, von ihren Kolleginnen nur „Tadde“ genannt, nun die überraschendste, schönste und anrührendste deutsche Geschichte dieser Tennis-Saison geschrieben. Mamma Mia: Zwölf Monate nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Cecilia stand Maria fassungslos vor Glück auf dem Centre Court der kolumbianischen Hauptstadt Bogota – als Sensationsgewinnerin des WTA-Wettbewerbs.
„Es ist ein wunderbares, überwältigendes Gefühl“, sagte Mama Maria, „ich bin froh, dass ich das alles mit meiner Familie genießen kann.“ Als Qualifikantin war die Deutsche bei der vorerst letzten Station ihrer Südamerika-Tour ins Rennen gegangen. Sie schaffte es mit zwei Erfolgen ins Hauptfeld, sammelte weitere vier Siege ein und kämpfte sich dann im Finale gegen die Brasilianerin Laura Pigossi in zweieinhalb Stunden zum zweiten Pokalcoup ihrer turbulenten Laufbahn nach den Mallorca Open im Jahr 2018.
„Großartiger Sieg“, twitterte Belgiens Superstar Kim Clijsters begeistert über Marias Durchmarsch – von Mutter zu Mutter. Die Rückkehr von Maria in die Weltspitze nahm mit dem hart erstrittenen Titellauf noch einmal Fahrt auf. Von Position 237 in der WTA-Rangliste sprang die 34-jährige aktuell auf Platz 114 vor, sie grüßte damit wieder auf viertbeste Deutsche in der Hackordnung – durchaus mit der Chance, in den nächsten Wochen und Monaten noch einmal mit ihrem unkonventionellen Spiel an das Karriere-Allzeithoch (Platz 46) heran zu rücken.
Auch beim Triumph in Bogota glänzte Maria mit variantenreichen Centre-Court-Vorträgen, einem Spiel jenseits des weit verbreiteten Power-Play-Stumpfsinns. „Königin des Slice“ titelte Bogotos „El Tiempo“ über die erfolgreiche deutsche Gastspielerin.
„Man muss bereit sein, jeden Tag das Unerwartete zu erwarten. Und es dann meistern“, sagt die zweifache Mutter, „allerdings kannst du das alles nur mit massiver Unterstützung schaffen.“ Ohne die Hilfe beider Familien wären die Tennis-Abenteuer kaum zu stemmen gewesen. Selbst die Großeltern wurden in die Kinderbetreuung eingespannt, um das Happy-End einer schwierigen Karriere möglich zu machen. Und: Ohne ihre Familie wäre sie schon länger nicht mehr auf der Tour unterwegs, sagt Maria auch, „alleine in Hotels zu sein, alleine die Zeit bei den Turnieren zu verbringen, das wäre nichts mehr für mich.“
JÖRG ALLMEROTH