Schluss mit nett und niedlich

von Redaktion

Erster Titel der Klubgeschichte? Phoenix ist der große Favorit in den NBA-Playoffs

VON ANDREAS MAYR

München/Phoenix – Gewiss ist es nur ein Zufall, dass die Temperaturen in Phoenix zum Wochenende hin die 30 Grad reißen und den Hitzesommer in der Wüste von Arizona einleiten. Wenn gleichzeitig das heißeste Team der Basketballliga NBA seine Meistermission im Sonnental beginnt und – wie passend – den Namen Suns trägt. Die Phoenix Suns, das sagt die Historie voraus, werden Ende Juni den ersten Titel ihrer Klubgeschichte gewinnen. Seit der großen Expansion im Jahr 1976 hat jede Mannschaft, die eine derart dominante Vorrunde gespielt hat, auch die Meistertrophäe abgestaubt. Acht Siege mehr als der zweitbeste Klub aus Memphis stehen in der Abschlusstabelle. Der große Wettanbieter Fanduel zahlt für den Finaleinzug der Suns läppische 120 Euro Gewinn aus – bei 100 Euro Einsatz. Wofür noch die Playoffs ausspielen, wenn der Ausgang festzustehen scheint?

Nun, weil in den 75 Jahren dieser Liga für Phoenix stets ein Platz auf der Verliererseite vorgesehen war. In regelmäßigen Intervallen stellten die Suns zwar ein niedliches wie unterhaltsames Team, das aber zur rechten Zeit von den wahren Helden im NBA-Universum eingenordet wurde: 1976 verloren sie im Finale gegen den Rekordmeister aus Boston, 1992 brach Michael Jordan dem Superstar der Stadt, Charles Barkley, das Herz. Im Vorjahr verdaddelte Phoenix eine 2:0-Führung in der Finalserie gegen Milwaukee. Alles wie immer. Trainer Monty Williams feierte danach eine zweiwöchige „Mitleidsparty“– so nannte er das wirklich spöttisch. Wobei sein Festprogramm eher kathartischen Charakter hatte: Er mähte den Rasen, fütterte Hirsche, fischte im Weiher auf seinem Anwesen in Texas. Danach, erzählte Williams später in der Rückschau, verflüchtigte sich der Frust – und Revanchegelüste legten sich über das Team. Eine solch dramatische Niederlage kann tiefe innere Schäden anrichten, ein Team zerreißen – oder aber zur Schicksalsgemeinschaft zusammen schweißen. Das ist in Phoenix passiert.

Wie stark ihr Bund gediehen ist, zeigte der Saisonstart, als der Klub um sie herum einzustürzen drohte. 70 (ehemalige) Mitarbeiter berichteten von einem vergifteten Arbeitsumfeld, von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und mittendrin Besitzer Robert Sarver, einem ultrareichen Sonderling, der schon einmal lebendige Ziegen ins Büro seines Managers schleuste – als Inspiration. Sarver bestritt die Anschuldigungen, die Ermittlungen der Liga laufen noch. Als der notorische Geizhals auch noch eine frühzeitige Vertragsverlängerung von Jungstar Deandre Ayton ablehnte, erwarteten nicht wenige einen Großbrand bei den Suns. Doch die gewannen einfach munter weiter, als hätte es die Protokolle aus dem dysfunktionalen System nie gegeben. Mit 64 Siegen stellten sie einen Klubrekord auf.

Auf der Suche nach der Quelle der Gelassenheit landet man sehr schnell bei Trainer Monty Williams und Aufbauspieler Chris Paul – so etwas wie dem spielenden Coach auf dem Feld. Mit 36 Jahren erlebt er seine spielerische Renaissance. Vor zwei Jahren trieben ihn die Suns im basketballarischen Second-Hand-Laden in Oklahoma auf. Dorthin hatten ihn die Houston Rockets verfrachtet, weil er ständig verletzt war und seinen Zenit überschritten zu haben schien. Doch mit einer radikalen Diät (Paul ist jetzt Veganer) revitalisierte der beste Vorlagengeber seiner Ära sich und die lange erfolglosen Suns. Phoenix installierte ihn als Kontrapunkt neben dem jungen Flügelspieler Devin Booker, der gleichermaßen wegen seiner Liaison zu Top-Modell Kendall Jenner wie für seine Fertigkeiten als Werfer bekannt ist. Die große Stärke des Duos: ihre Nervenstärke in knappen Partien. 25 von 29 engen Spielen haben die beiden zusammen gewonnen – mit großem Abstand Liga-Bestwert. Und da in den Playoffs nichts mehr als das verlangt wird, gehen die Suns als Favorit in die Meisterrunde. Auch um die Flüche der Vergangenheit zu besiegen. Chris Paul, bald 37, hat wie sein Klub noch nie den wichtigsten Titel der Basketballwelt gewonnen.

Artikel 1 von 11