München – Die Rechnung ist ganz einfach: Fahren Julian Nagelsmann (34) und seine Mannschaft am Samstag im Topspiel gegen Borussia Dortmund (18.30 Uhr, Sky) drei Punkte ein, ist dem FC Bayern die zehnte Meisterschaft in Folge nicht mehr zu nehmen. So weit die Theorie. Doch in der Praxis sieht es häufig anders aus. Darum will Nagelsmann nichts dem Zufall überlassen und tüftelt intensiv an seiner Meister-Taktik.
Der Bayern-Trainer gilt als ein Coach, der seine Mannschaft vollumfänglich auf den jeweiligen Gegner einstellt und die Spielweise seiner Mannschaft dementsprechend anpasst. Das beweist ein Blick auf die sogenannten „Heatmaps“ der vergangenen drei Bundesligaspiele. Die roten Farbkleckse zeigen, in welchen Bereichen des Spielfelds sich die Bayern am häufigsten aufgehalten haben. Während die Münchner beim 3:0-Sieg in Bielefeld vergangenes Wochenende über beide Flügel agierten, war das Bayern-Spiel in den vorherigen Spielen gegen Augsburg (1:0) und Freiburg (4:1) sehr rechtslastig. Auffällig: Gegen den Sportclub versuchten die Bayern mit Diagonalbällen aus dem zentralen Mittelfeld den Durchbruch über die rechte Außenbahn zu schaffen, während sie gegen den FCA hauptsächlich vertikale Bälle spielten.
Und wo wird’s gegen Dortmund brennen? Einen ersten Vorgeschmack gab Nagelsmann im Training am Dienstag. Auf seiner berühmten Taktik-Tafel war zu sehen, wie die Bayern die Partie angehen wollen. Eine mögliche Interpretation: Mit einem strukturierten Passspiel soll der BVB zum Pressing animiert werden, um anschließend die letzte Pressing-Linie zu überspielen und den freien Raum zum Kontern nutzen zu können.
Personell kann Nagelsmann pünktlich zum Spitzenspiel wieder aus dem Vollen schöpfen: Nachdem Niklas Süle (26) bereits am Montag wieder vollständig ins Mannschaftstraining eingestiegen ist, sind seit Dienstag auch die angeschlagenen Kingsley Coman (25) und Lucas Hernandez (26) wieder mit von der Partie. Dadurch kann Nagelsmann völlig unabhängig von den vorhandenen Spielern entscheiden, ob er mit Dreier- oder Viererkette ins Spitzenspiel gehen möchte. Nach dem Königsklassen-Aus häufte sich die Kritik, dass die Münchnern im 4-2-3-1-System stets am erfolgreichsten gespielt hätten – und nicht im vom Nagelsmann präferierten Grundordnung mit Dreierkette.
Doch der Münchner Fußballlehrer ist bekanntlich ein Freund einer variablen Taktik, weshalb er wenig von Diskussionen der Abwehr-Formationen hält. Unsere Zeitung weiß: Einige Führungsspieler begrüßen explizit die Variabilität im Spiel von Nagelsmann. Tenor: Seit Pep Guardiola ist wieder ein Trainer in München, der auf Gegner und Spielstände taktisch reagieren kann.
Sollte Nagelsmann damit gegen den BVB erfolgreich sein, wäre das auch nach dem Geschmack von Uli Hoeneß, der sich generell mehr Respekt vor dem Gewinn der Meisterschaft erwartet, wie er der SZ sagte. Für den Ehrenpräsident ist die Schale „immer das Maß aller Dinge. Ich ärgere mich auch im Fußball, dass die Meisterschaft im Außenwert so runtergekommen ist.“ Die Mannschaft von Julian Nagelsmann liege zwar neun Punkte vorne, so Hoeneß, aber „kein Mensch freut sich, und jedes nicht so gute Spiel wird kritisiert“. Freude hätte sicherlich auch Nagelsmann. Für ihn wäre es die erste Meisterschaft.