„Einlagen waren das Nonplusultra“

von Redaktion

Tennis-Oldie Kohlschreiber über seine Anfänge, den heutigen Nachwuchs und die BMW Open

München – Das erste Spiel auf der ATP-Tour, der erste Titel, dramatische Finalniederlagen und zwei weitere Triumphe: Philipp Kohlschreiber hat bei den BMW Open in 20 Jahren viel erlebt. Inzwischen ist für den 38-Jährigen das Karriereende in Sicht, kommende Woche könnte seine letzte Teilnahme in München sein. Mit unserer Zeitung hat die ehemalige Nummer 16 der Welt in Erinnerungen geschwelgt, über aufgeschürfte Knie gesprochen und verraten, was er sich nach der Karriere vorstellen könnte.

Herr Kohlschreiber, erinnern Sie sich an Ihr Debüt bei den BMW-Open 2002?

Ja, gegen Nicolas Lapentti habe ich zwar in drei Sätzen verloren, aber es war trotzdem gut, um damals den Glauben zu stärken, da oben mithalten zu können. Er war zu dem Zeitpunkt glaube ich circa die Nummer 30 der Welt und ein ziemlich guter Sandplatzspieler.

Seitdem haben Sie eine sehr innige Beziehung zu dem Turnier aufgebaut…

Es ist im Tennis die größte Liebe für mich, ich habe hier fast jedes Jahr eine schöne Woche erlebt. Klar, Roger Federer hat zehnmal in Halle gewonnen, aber für einen Tennisspieler, der nicht so außerirdisch spielt wie er, ist es schon etwas Besonderes, dreimal ein Turnier zu gewinnen und dort meist ganz gut zu spielen.

Spätestens 2007, mit ihrem Sieg im Finale über Michail Juschny, sind Sie dann auch da oben angekommen.

Der Turniersieg war mein Durchbruch und auch der Startschuss, für das was später kam, dass ich mich so lange unter den besten 100 halten konnte. Ich habe mit den Turniersiegen dazugelernt (lacht). Zum Beispiel auch, dass es nicht clever ist, sich nach einem Triumph nach vorne auf den Boden plumpsen zu lassen, das schürft die Knie auf. Aber solche Momente sind einfach die besten. Man muss im Tennis so viel einstecken, selbst wenn man bis ins Halbfinale kommt, endet die Saison mit einer Enttäuschung. Bei so einer Siegerehrung freut man sich dann wie ein kleiner Junge, vor allem wenn man dann auch noch ein Auto bekommt. Allerdings ist das noch nicht der schönste Moment nach Erfolgen.

Sondern?

Das hört sich vielleicht merkwürdig an: der schönste Moment ist danach unter der Dusche. Davor auf dem Platz ist auch immer ein bisschen Show dabei, aber das ist dann der erste Augenblick, wo man das Ganze für sich getan hat und mit seinen Emotionen allein ist. Sei es ein Freudentränchen oder wenn man verloren hat, dass man aus Frust die Zähne zusammenbeißt.

Sie haben es vorher angesprochen, zwischen 2006 und 2021 lagen Sie 15 Jahre unter den besten 100 der Welt…

Ich sage zwar nicht gern, dass ich auf etwas stolz bin, aber das ist schon mein größter Erfolg, denn das Tennis hat sich in dieser Zeit ja dramatisch verändert.

Wie haben Sie diese Entwicklungen angenommen?

Es ist einfach ein ewiges Tüfteln, man darf nicht stehen bleiben. Auf diesem Niveau machen Nuancen den Unterschied aus. Zum Beispiel hatten früher die meisten Spieler eine schwächere Rückhand und so war auch das ganze Spiel aufgebaut. Der zweite Aufschlag ging immer in die Rückhand. Heute ist sie bei manchen der Paradeschlag und dann muss man eben mal einen neuen Aufschlag einstudieren, der einem vielleicht nicht so liegt.

Ist Tennis durch diese Entwicklung eindimensionaler geworden?

Also ich muss ehrlich sagen, mir gefällt nicht jedes Match. Wenn sich zwei fast identische Spielertypen die Bälle um die Ohren hauen, wird es eintönig. Aber man muss sich trotzdem anpassen, sonst wird man gefressen. Es wird eben viel kompromissloser gespielt, da so viel mehr Power in den Schlägen ist. Für mich als talentierten Kämpfer mit kreativen Ideen wurde es in den letzten Jahren daher auch immer schwerer, mein Können zu zeigen. Aber hier in München kann man für nichts garantieren – die Bedingungen liegen mir ja (schmunzelt).

Abgesehen vom dynamischeren Spielstil, was hat sich noch verändert im Tenniszirkus?

Junge Spieler können sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen, wie ich Profi geworden bin. Wir hatten kein Gym oder einen studierten Sportwissenschaftler, der sagt: du musst die Hantel noch zwei Grad anders halten. Meine erste Massage habe ich glaube ich mit 20 bekommen. Heute haben die Jugendlichen acht Leuten um sich rum. Zu meiner Zeit gab es nur Tennisspielen, Laufen und das Theraband. Ach ja, und Einlagen für die Schuhe habe ich mal bekommen, das war damals das Nonplusultra (lacht).

Ist das eine negative Entwicklung in ihren Augen?

Ich glaube nicht von Haus aus, dass es ein Problem ist, aber man muss ein gutes Mittelmaß finden. Wir sind immer noch Tennisspieler, und das wichtigste ist die Arbeit auf dem Platz. Wenn ich so viele zusätzliche Sachen mache, davor mit Medizinbällen zwei Stunden arbeite und nach zwei Stunden mit dem Training aufhöre, weil ich zum Fitness-Training muss, läuft man Gefahr, sich zu verzetteln und die Grundlagen zu vergessen.

Sie sprechen sehr engagiert über dieses Thema. Könnte es Sie nach ihrer Karriere beschäftigen?Sie haben ja offengelassen, wie es nach Wimbledon weitergeht…

Ich möchte schon gerne dem Tennissport verbunden bleiben, hier habe ich meine Erfahrungen gesammelt. Es wäre auch mal schön bei dem Turnier in München mitzuhelfen oder eventuell beim Fernsehen reinzuschnuppern, da wurde schon angefragt. Aber: Wie gesagt, bin ich ja ein Tüftler, der sich neuen Gegebenheiten anpasst. Es reizt mich schon, raus zu kitzeln, wie meine Philosophie als Trainer funktioniert. Allerdings eher mit 12- bis 14-Jährigen, als mit Profis, die international unterwegs sind, denn das Reisen ist ja das, was mir die letzten Monate nicht mehr so gefällt. Außerdem sieht man bei jüngeren Sportlern noch richtig die Veränderungen, ich glaube, dass es Spaß macht, wenn man da als Mentor und Vorbild einwirken kann.

Noch wirken Sie allerdings auf dem Platz…

Ja und es wäre schon eine tolle Story, wenn ich in München das Publikum und mich noch mal bezaubern könnte. Es muss jetzt nicht der Turniersieg sein, auch ein Finale wäre schon ein Highlight. Ich weiß, wie es hier geht, ich fühle mich fit – mehr kann ich dazu nicht sagen.

Interview: Thomas Jensen

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