Imola – Am Sonntag steigt in Imola der Große Preis der Emilia-Romagna (15.00 Uhr, Sky und RTL) – doch das Red-Bull-Team von Weltmeister Max Verstappen spielt nur noch die zweite Geige hinter Ferrari. Wie er das ändern will, erklärt Chefberater Dr. Helmut Marko (78) Interview.
Herr Dr. Marko, Max Verstappen scheint nach drei Saisonrennen schon ungeduldig zu werden. Nach zwei Ausfällen lästerte er, er bräuchte in dieser Saison 45 Rennen, um seinen WM-Titel zu verteidigen. Was sagen Sie dazu?
Das sehe ich nicht so. Die beiden Defekte, die wir hatten, waren unterschiedlicher Natur. Wir sind zusammen mit unserem Motorpartner unermüdlich bemüht zu verhindern, dass das nicht mehr vorkommt. Aber grundsätzlich sind natürlich zwei Ausfälle in drei Rennen ein absolutes No-Go!
Ist die WM schont vorentschieden?
Natürlich nicht. Wir haben noch zwanzig Rennen. Mit Sebastian Vettel hatten wir schon mal nach Halbzeit der Saison 44 Punkte Rückstand – und haben trotzdem noch gewonnen. Auch damals gegen Ferrari. Dazu kommt: In den ersten beiden Saisonrennen waren wir auf Augenhöhe mit Ferrari. Nur beim dritten Event in Melbourne hatten wir keine Chance gegen Charles Leclerc. Zumindest im Rennen. Das hatte was mit Graining bei den Reifen zu tun und einem nicht perfekten Setup.
Ihr Teamchef Christian Horner sagt: „Wir machen lieber ein schnelles Auto zuverlässig als ein zuverlässiges Auto schnell“. Sehen Sie das auch so?
Ja, das ist die einfachere Aufgabe. Wobei: Die technischen Probleme hatten nicht unbedingt mit dem Chassis zu tun. Vielleicht aber mit dem Bouncing (das Hüpfen auf der Geraden, die Red.). Kann schon sein, dass das so stark in Australien war, dass es die Benzinleitung zerrissen hat. Aber es wird noch untersucht.
Müssen Sie Max bei Laune halten?
Sein jugendliches Alter ist prädestiniert für Ungeduld. Ich habe ihm gesagt, dass wir noch 20 Rennen haben, bei denen mit Sprintrennen und schnellsten Runden noch über 500 Punkte zu vergeben sind. Da ist bei Weitem noch nichts verloren.
Vor der Saison haben Sie gesagt, dass Max durch den Gewinn des Titels ruhiger geworden ist. Das sieht im Moment aber nicht danach aus …
Sie wissen nicht, wie er früher war. Er ist in der Tat viel ruhiger geworden. Auch nach dem Ausfall in Melbourne war er in der Box schon wieder sehr relaxt. Er weiß, dass er wieder ein schnelles Paket, das nur noch richtig aussortiert werden muss.
Hatten Sie Ferrari so stark erwartet?
Nach den ersten Tests in Barcelona stand fest, dass Ferrari ein sehr konkurrenzfähiges Auto hat. Besonders in den Händen von Leclerc. Dazu kommt: Wir sind schwerer, Ferrari ist näher ans Gewichtslimit gekommen als wir. Wir glauben, dass wir zehn Kilogramm schwerer sind. Das sind immerhin drei Zehntel. Das macht zusätzlich Hoffnung, weil wir ja drei Zehntel schneller sein werden, nur weil wir abspecken.
Wann ist es denn so weit?
In Imola noch nicht, leider. Wir hoffen, dass wir es bis Barcelona geschafft haben.
Warum ist es so schwer, ein Auto nicht einfach zehn Kilogramm leichter zu machen?
Weil es nicht einfach geht, mal eben ein Chassis zehn Kilo leichter zu bauen. Man muss in allen Bereichen ansetzen. Dann kommt noch das Costcap, das Budgetlimit, dazu. Und man darf ja auch nicht die Zuverlässigkeit gefährden. Auch wenn rein optisch das Bouncing bei uns nicht so brutal aussieht, so sind die Belastungen trotzdem enorm. Man muss einen gesunden Mittelweg finden, das geht aber nicht von heute auf morgen.
Dadurch, dass die Transportkosten so überdurchschnittlich nach oben geschossen sind, gibt es Diskussionen, das eigentlich limitierte Budget wieder erhöhen zu dürfen. Wie fortgeschritten sind diese Gespräche?
Leider ist es vom Reglement nicht gut gelöst, dass es fast eine Einstimmigkeit von den Teams braucht, um so was zu ändern. Und es gibt ja im Moment den üblichen Nein-Sager Andreas Seidl von McLaren. Aber selbst er denkt schon darüber nach. Klar ist: Dadurch, dass sich die Transportkosten zum Teil verdreifacht haben, muss man über ein neues Konzept nachdenken und flexibel reagieren können. Costcap ist gut, aber wir reden hier schließlich von der Formel 1, der ultimativen Spitze des Motorsports. Wir hatten die Pandemie, jetzt den schrecklichen Krieg in der Ukraine. Da müssen wir einfach drauf eingehen.
Im letzten Jahr kämpften Sie mit Mercedes, jetzt mit Ferrari. Was ist anders?
Ferrari und wir haben eine ähnliche Herangehensweise. Da ist Leidenschaft, da ist Faszination, da steht der Sport im Vordergrund. Bei Mercedes war viel Politik mit im Spiel, das schafft eine andere Atmosphäre. Mit Ferrari gibt es ein besseres Verhältnis. Was noch dazu kommt: Max fährt jetzt gegen Leclerc, die sind zusammen im Kartsport groß geworden, kennen sich schon lange, sind eine Generation. Mit Lewis Hamilton war das anders: Der ist viel älter, er war der König, an dessen Thron ein viel Jüngerer rüttelte. Das ist psychologisch gesehen eine ganz andere Voraussetzung.
Findet in diesem Jahr ein Generationswechsel in der Königsklasse statt?
Ich denke schon. Mit Verstappen, Leclerc, Norris und Russell haben wir jetzt vier Piloten, die die nächsten Jahre prägen werden.
Sind Hamilton und Vettel über ihren Zenit?
Hamilton hat immer noch einen großen Erfahrungsschatz. Im vergangenen Jahr merkte man das oft, besonders wenn es darum ging, wie er mit den Reifen haushalten konnte und auch noch mit extrem abgefahrenen Reifen tolle Zeiten hingelegt hat. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo die Routine dann doch nicht mehr ganz mit dem jugendlichen Enthusiasmus und Elan und purem Speed mithalten kann. Bei Sebastian kommt noch dazu, dass er sicher vom Auto her von allen am stärksten benachteiligt ist.
Würden Sie Vettel unter diesen Umständen zum Aufhören raten?
Grundsätzlich passt ein Hinschmeißen mitten in der Saison nicht zu dem starken Charakter, der Sebastian ist. Aber vom Team müsste halt bald eine Verbesserung kommen, sonst wird es immer schwieriger, motiviert zu bleiben. Es tut jedenfalls in der Seele weh, einen vierfachen Weltmeister in einer solchen Situation zu sehen.
Niki Lauda war auch ein Charakter. Trotzdem hat er 1979 mitten in der Saison hingeschmissen.
Bei Niki war das anders: Er hatte im Gegensatz zu Sebastian damals ein mehr oder weniger konkurrenzfähiges Auto. Er stellte aber für sich fest, dass es einfach nicht mehr passt. Bei Vettel ist das anders: Er hat ein Zweijahresvertrag und will mit aller Gewalt versuchen, Auto und Team besser zu machen. Und vielleicht jetzt schon die Saison abhaken, um auf nächstes Jahr zu gehen.
Was läuft schief bei Aston Martin? An mangelndem Geld scheint es nicht zu liegen.
Meine Ferndiagnose: Es ist immer noch ein Teamsport. Du brauchst Teamspirit und Zusammenhalt. Deshalb konnten wir auch trotz vieler Abwerbeversuche sehr lange unsere wichtigen Leute an Bord halten. Auch wenn einige Abwerbeversuche von Aston Martin dann doch erfolgreich waren. Es nutzt aber nichts, nur einzelne Leute abzuwerben und dann glauben, du hast Erfolg.
Interview: Ralf Bach