München – Mario Zimmermann war auch unter regelmäßigen Eishockey-Zuschauern bis eben noch nicht sonderlich bekannt. Der 20-Jährige hat gerade seine erste DEL-Saison bestritten, in deren Verlauf die Straubing Tigers, sein Club, ihn auch in die DEL2 an den EV Landshut ausliehen. Bis zum vorigen Samstagnachmittag wurde der Verteidiger Zimmermann beim Fachportal Eliteprospects noch mit den Maßen „1,70 m, 60 kg“ geführt, was ihn erheiterte, „denn da war ich 15“.
Dann bestritt er sein erstes Länderspiel. Im Internet wuchs er daraufhin, seit Samstagabend ist er 1,77 Meter groß und wiegt 78 Kilo. So stimmt’s auch.
Nationalspieler – im Mannschaftssport ist das ja durchaus ein Prädikat. Immer wieder erzählen Fußballer nach ihrem Debüt, dass sich für sie mit dem andächtigen Hören der Hymne ein Lebenstraum erfüllt habe. Mit der Berufung bestätigt und vollendet sich ein Schritt in der sportlichen Entwicklung. Im Eishockey ist das etwas anders. Da erfolgt die Nominierung oft, um einen Werdegang einzuleiten. Und die Anzahl der Länderspiele, die einer vorweisen kann, taugt nicht unbedingt als Ausweis seiner Klasse. Es gibt sogar zwei deutsche NHL-Spieler, die noch nie in der deutschen A-Nationalmannschaft eingesetzt wurden. Aus dem einfachen Grund: Es hat sich terminlich nicht ergeben.
Tim Stützle (20), Star der Ottawa Senators, wäre bei der WM 2020 dabei gewesen – sie entfiel wegen Corona. 2021 hätte er Zeit gehabt, musste sich aber an der Hand operieren lassen. Für 2022 verspricht er zu kommen – wenn nicht noch eine Verletzung an den letzten NHL-Spieltagen dazwischenfunkt. Während Stützle keine NHL-Playoffs spielen wird, weil Ottawa sich nicht qualifiziert hat, kann Nico Sturm als Anführer der dritten Angriffsreihe bei der Colorado Avalanche sogar nach dem Stanley Cup greifen. Doch mit einer WM-Teilnahme wird es für den 26-jährigen Augsburger wieder nichts. „Das Nationaltrikot“, so der 26-Jährige, „habe ich bisher nur bei den Junioren getragen.“ Das war zur Jahreswende 2014/15.
Sturm entschloss sich für ein Studium in den USA, weil er nicht wusste, ob er in Deutschland als Eishockey-Profi bestehen könnte. In der Collegeliga NCAA, in der es keine Bezahlung gibt, wurde er so gut, dass der NHL-Club Minnesota ihn 2018 verpflichtete. Kontakt zu den Bundestrainern hatte Nico Sturm immer: „Aber wenn Länderspiele oder WM waren, hatte ich entweder Prüfungen an der Uni oder Playoffs.“ Wer in Nordamerika spielt, wird für die normalen Länderspiel-Slots im November, Februar oder zur WM-Vorbereitung im April nie zur Verfügung stehen, sondern allenfalls für die Weltmeisterschaft, die in Europa die Saison beschließt.
In der jetzigen Jahreszeit schlägt die Stunde der zweiten und dritten Reihe. Am Freitag und Samstag spielt Deutschland in Dresden gegen die Slowakei, und wieder stellt Bundestrainer Toni Söderholm sein Team aus Akteuren zusammen, deren Vereine die DEL-Playoffs nicht erreicht haben oder längst ausgeschieden sind. George Kingston, Bundestrainer von 1994 bis 98, hatte die mehrstufige WM-Vorbereitung erfunden und sie „CBA-Konzept“ genannt. Das war ehrlich: Erst in der letzten Phase sind es wirkliche A-Länderspiele. Freilich ist das Nationalspieler-Gefühl im Eishockey auch ein anderes, ein nüchternes. Eingeladen wird fast jeder deutsche DEL-Crack mal. Aber: „Nationalspieler“, erklärt Christian Winkler, der Sportdirektor des EHC München und frühere Torwart, „ist für mich einer, wenn er eine WM gespielt hat“. GÜNTER KLEIN