München – Patrick Lange gehört zu den erfolgreichsten Triathleten aller Zeiten. 2017 und 2018 gewann der 35-Jährige die Ironman-WM auf Hawaii. Nach dem Zieleinlauf macht er seiner Frau Julia einen Heiratsantrag. Alles schien perfekt. Doch im Frühjahr 2019 verunglückte ein Freund Langes, 2020 verstarb die Mutter an Krebs. In seinem Buch „Becoming Ironman. Mein Weg zum Weltmeister im Triathlon“ (riva) schreibt der Ausnahmeathlet über Schattenseiten als Profisportler und mentale Probleme. Eine Woche bevor die WM des letzten Jahres in Utah nachgeholt wird, spricht Lange mit unserer Zeitung über den Genesungsfortschritt nach seiner Schulterverletzung, das Training als Qual und ein Leben als Inspiration.
Patrick Lange, wie verläuft die Reha bei Ihnen?
Die Reha verläuft deutlich schneller, als wir es alle erwartet haben. Und auch deutlich schneller, als es das Lehrbuch prognostiziert. In den nächsten Wochen kann es schon wieder mit dem Vollgas-Training losgehen. Ich bin sehr glücklich. Ich war auch mal Physio und weiß, wie lange eine Schultereckgelenksprengung normalerweise Probleme bereitet.
Die WM in Utah verpassen Sie verletzungsbedingt. Das Highlight in diesem Jahr ist aber ohnehin Hawaii im Oktober, oder?
Das würde ich genauso unterschreiben. Wenn man in die Triathlon-Szene reinhört, ist das die einhellige Meinung. Trotzdem ist es natürlich schade, dass ich das Event in Utah verpasse. Aber Hawaii ist unser Sehnsuchtsort.
Sie wollen in Juli bei der Challenge in Roth starten. Werden Sie in Topform antreten können?
Da liegt noch ein harter Weg vor mir. Vorher muss ich noch ordentlich Zeit in das Training investieren, damit ich in Topform antreten kann. Es ist eine Herausforderung, die ich gerne annehme. Ich habe mächtig Bock drauf. Diese Motivation nutze ich und ziehe voll durch.
Sie sind 35. Ist da eine Verletzung noch mal schwerer zu verdauen als in einem jüngeren Alter?
Ich bin selbst von der Heilungskraft meines Körpers überrascht. Ein paar Tage nach der Verletzung habe ich zu meiner Frau auch gesagt: „Oh je, ich bin jetzt auch nicht mehr der Jüngste. Mal schauen, wie die Heilung verlaufen wird.“ Dass ich das so weggesteckt habe, damit war nicht zu rechnen. Die Ärzte und Physios haben auch gestaunt. Das gibt mir das Gefühl, dass mein Körper auch mit 35 noch fit genug ist, um in den nächsten Jahren Großes zu leisten.
Schwäche ist im Sport immer noch ein Tabuthema. In Ihrem Buch schreiben Sie von mentalen Problemen und privaten Rückschlägen. Hat es dafür Mut gebraucht?
Es bedarf definitiv einer ganzen Portion Mut. Es war mir wichtig Themen anzusprechen, die eigentlich schon lange in einen sozialen Diskurs gehören. Als zweifacher Weltmeister habe ich das Standing, um diese Themen einfach mal ganz offen anzusprechen. Es war mir wichtig, einen Blick hinter die Hotelzimmertür zu geben. Den Gedanken, das alles mal offen zu legen, hatte ich schon länger. Vor allem mein schlecht verlaufendes Jahr 2019 und der anschließende Prozess, die mentale Kraft wieder zu sammeln, hat mir die Fähigkeit gegeben, darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen, ohne daran kaputt zu gehen. Es war kein leichter Schritt, aber die Resonanz ist überwältigend. Es ist schön, einfach mal man selbst zu sein. Ich bekomme auch Feedback, dass ich anderen Menschen mit meiner Reflexion geholfen habe. Da bin ich stolz drauf.
Sie schreiben, dass Sie teilweise ausgebrannt waren. Wie hat sich das bemerkbar gemacht?
Das ist schnell erklärt. Ich mache das, wovon ich schon immer geträumt habe. Ich liebe meinen Sport zutiefst. Vor allem im Jahr 2019 fiel mir aber jede Trainingseinheit schwer. Es war immer so, dass ich mich rausquälen musste. Morgens nach dem Aufstehen habe ich mich gefragt: Warum mache ich das jetzt? Es war immer eine Überwindung. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich nicht mehr richtig erhole. Die Freude am Sport war nicht mehr da. Mit meinem Buch wollte ich einen Blick hinter die Kulissen geben. Die Strahlewelt von Instagram ist nur selten die Realität.
Wie sah die Realität bei Ihnen 2019 aus?
Ich hatte Angst vor dem Wettkampf. Wenn sonntags der Wettkampf war, hat der Negativstrudel freitags begonnen. Ich hatte keine Lust mehr, Wettbewerbe zu bestreiten und habe mir gedacht: Wie komme ich aus der Nummer wieder raus?
Wie sind Sie aus der Nummer rausgekommen?
Ich glaube, man braucht immer Hilfe von außen. Mit meinem Mentaltrainer habe ich zwei Jahre gezielt daran gearbeitet. Wir haben Strategien entwickelt, wie ich die negativen Gedanken wieder in die richtige Richtung lenken kann. Ich wüsste nicht, wie man ohne fremde Hilfe aus so einem Loch kommt. In Deutschland haben wir noch ein bisschen die Mentalität, dass jeder, der zu einem Psychologen geht, eine Schraube locker hat. Das war auch ein Anliegen von mir, diesen Schritt salonfähiger zu machen. Es ist ein Zeichen von Stärke, wenn man über seine Ängste spricht und sich Hilfe holt.
Lassen Sie uns zum Abschluss vorausschauen. In fünf Jahren sitzen Sie mit Ihrer Familie an einem schönen Ort und feiern Ihren 40. Geburtstag. Was muss bis dahin passieren, damit Sie zufrieden sind? Ein weiterer Titel auf Hawaii?
Glück und Zufriedenheit entsteht immer aus einem selbst heraus. Meine Verwirklichung ist natürlich zum großen Teil sportlicher Erfolg. Und mein täglicher Antrieb ist es, dass ich noch mal Weltmeister werde, dass ich in Roth gewinne, vielleicht noch mal in Frankfurt gewinne. Ich habe noch viele sportliche Ziele. Aber ich glaube nicht, dass ich in fünf Jahren unglücklich bin, wenn ich bis dahin nicht noch mal die WM gewonnen habe. Viel wichtiger ist, dass ich mit meiner Familie eine schöne Zeit habe, dass ich mit meinen Freunden Erlebnisse teilen kann. Ich möchte einen Fußabdruck hinterlassen. Im Idealfall soll meine Karriere als Inspiration dienen. Wenn ich Kinder inspirieren kann, ein sportlicheres Leben zu führen oder die Menschen dazu bringen kann, sich mehr mit mentaler Gesundheit zu beschäftigen – das würde mich sehr glücklich machen
Interview: Nico-Marius Schmitz