Leipzig hat gute Chancen, das Team der Saison zu werden. Also wenn man den sportlichen Ertrag betrachtet, der schon zustande gekommen ist und noch veredelt werden kann. Zwar wird es mit der Qualifikation über die Bundesliga-Platzierung, bisher eine Selbstverständlichkeit, diesmal knifflig, doch international ist der Rasenballsport weiter gekommen als Borussia Dortmund, und im DFB-Pokal war er erfolgreicher als der FC Bayern. Trotzdem: Es herrscht nicht die geringste Spur von Begeisterung rund um RB Leipzig. Wenn – wir werden es am Donnerstag wieder erleben – die Halbfinal-Rückspiele in der Europa League stattfinden, werden alle auf die Frankfurter Eintracht und ihr Duell mit West Ham United achten, während das Leipziger Spiel bei den Glasgow Rangers nur eine Nebensatz-Erwähnung in der SGE-Saga sein wird. Der Tenor, den man so vernimmt: Deutsches Finale muss gar nicht sein, und wenn, dann mit Sieger Frankfurt.
Leipzigs Los ist es, in beiden K.o.-Wettbewerben in einen Vergleich gesetzt zu werden, in dem es nicht bestehen kann. Europa-League-Mitbewerber Frankfurt steht für eine authentische Fankultur, Pokalfinalgegner SC Freiburg für gesundes Wachstum ohne Zusatzstoffe. Sie treffen jeweils die wunden Punkte des Konstrukts. Es ist wenig glaubhaft, wenn der Fanclub „Holy Bulls“ Ringelreihen um den von der Firma gesponserten Bus tanzt oder RB-Vorstandsboss Oliver Mintzlaff sich neuerdings bemüht, emotional rüberzukommen und die Augen feucht werden lässt. Jeder, der informiert ist, erkennt: Leipzig schreibt kein Märchen, sondern ist Marketing.
Die Frage ist, ob sich die Fan-Landschaft irgendwann daran gewöhnt haben wird, dass es solch ein Konstrukt nun mal gibt und es nicht mehr weggeht. Zwei Jahre in einer Pandemie haben die Fußball-Konsumenten gleichgültiger werden lassen – doch jetzt, wo sich Stadien wieder füllen, wird offenbar: Die RB-Aversion hat die Geisterspielphase überdauert. Die Protestaktionen sind zurück im Programm der Kurven.
Und den Widerstand lebt nun sogar offen ein Verein: Der SC Freiburg will sein Vereinswappen nicht zur Verfügung stellen für gemeinsames Merchandising mit Pokalgegner Leipzig, er wehrt sich gegen Vereinnahmung für Werbezwecke. Was für ein Zeichen: Mehr denn je Misstrauen gegenüber RB – im sechsten Jahr. In dieser Hinsicht: Keine gute Saison für Leipzig.
Guenter.Klein@ovb.net