München – Das ist das offizielle Datum der Inbetriebnahme des Münchner Olympiastadions: 26. Mai 1972. Ein Freitag in den Pfingstferien, exakt noch drei Monate bis zur Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele. Erst einmal Fußball als organisatorischer Testlauf: Bundesrepublik Deutschland gegen die UdSSR. 80 000 Zuschauer und ein 4:1-Sieg, vier Tore durch Gerd Müller. Es spielte die deutsche Wundermannschaft. Sie hatte im Europameisterschafts-Viertelfinale, ausgetragen in Hin- und Rückspiel, das große England ausgeschaltet, 3:1 in Wembley gewonnen, im Sommer würde sie bei der Finalrunde in Belgien nachlegen. Mit den Doppelpässen zwischen Müller und Günter Netzer, mit dem von Franz Beckenbauer initiierten Ramba-Zamba vor dem Brüsseler Atomium als plakativem Hintergrund. Der 26. Mai 1972 ließ all die Erwartungen spüren.
Das erste Spiel unterm Zeltdach war Deutschland – UdSSR aber nicht. Wer Beziehungen hatte, konnte das Stadion vorab testen. Wer als Allererster an die Reihe kam, dazu gibt es aber keine ultimativ gesicherten Nachweise. Es gab einen Kick zwischen CSU- und SPD-Stadträten, alle Teilnehmer waren zur Verschwiegenheit darüber verpflichtet wurden, keiner stach etwas an die Medien durch. Journalisten selbst glaubten lange, sie hätten das Premierenspiel für den heiligen Rasen absolviert – das Organisationskomitee der Olympischen Spiele hatte sie und das Team der Schwabinger Kneipe „Säge“ reingelassen und selbst mitgebolzt. Mission: Überprüfen, ob das satte Grün hält und bereit ist für Größeres? Weitere Quellen besagen, auch Regionalligist TSV 1860 habe sich Zugang verschaffen können und ein Trainingsspiel abgehalten.
„Der Rasen“, erinnert sich Uli Hoeneß, „war schon zwei Jahre vor der Einweihung im Stadion.“ Man säte das Feld an, Rollrasen war noch nicht mal eine Vision. Uli Hoeneß besuchte schon während der Bauphase gelegentlich das Stadion, „um zu sehen, wie die Kabine ist und wie der Platz“. Zudem war er neugierig auf die Innovation Rasenheizung. Die erste in Deutschland. „Wir waren es aus dem Grünwalder Stadion gewohnt, dass man bei Schnee und Eis selbst mitgeschippt hat.“ Nun hieß es für den noch fernen winterlichen Fall einfach: Schalter an. Hoeneß wusste Anfang der 70er-Jahre, dass ihm das Olympiastadion zur Heimat werden würde. Als Bayern-Spieler. Und zunächst auch als Olympia-Amateur. Sein Arbeitsverhältnis beim FC Bayern wurde so gestaltet – als Mitarbeiter der Poststelle –-, dass er an den Münchner Spielen teilnehmen konnte. Er war der Einzige, der 1972 die EM spielte und das Olympia-Turnier (dieses aber nicht so erfolgreich, fern einer Medaille). Danach wurde er auch der Form nach Profi.
Das 4:1 gegen die Sowjets war eine furiose Partie, doch der FC Bayern übertraf dieses Ergebnis noch, als er am 28. Juni 1972 (ja, die Saison dauerte damals etwas länger als heutzutage) ins Olympiastadion einzog. Mit Sondergenehmigung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Denn Heimat der Bayern für 1971/72 war das Grünwalder Stadion. Doch die Konstellation, die sich für den 34. Und letzten Spieltag ergab, war so verlockend: Die Münchner führten die Bundesliga-Tabelle einen Punkt vor dem FC Schalke 04 an, und abschließend im Kalender stand: Bayern – Schalke. Die Partie gewannen die Bayern 5:1, es war eine Riesenparty zum erst dritten Meistertitel in der Vereinsgeschichte. Für die Bayern zählte freilich auch die pekuniäre Seite: Im „Oly“ konnten sie doppelt so viele Karten verkaufen wie im Grünwalder. Sie nahmen mit diesem einen Spiel 1,2 Millionen -Mark ein, eine Summe, die obszön hoch erschien vor 50 Jahren. Den Präsidenten Wilhelm Neudecker überkam sogleich die Wehmut, was man schon verpasst hatte an Einnahmen. Jedoch merkte er auch kritisch an, „dass es für die Olympischen Spiele gebaut und auf den späteren Nutzer keine Rücksicht genommen wurde“.
Olympia plus Fußball – am 26. Mai 1972 lebten sie in Harmonie. Vor dem Anpfiff wurde von einer Bundeswehr-Big-Band die Olympia-Hymne intoniert, und Deutschlands Olympia-Chef Willi Daume sagte im TV-Interview vor dem Anpfiff, dass da Fußballer auf dem Rasen stünden, „die wir genauso verehren wie unsere olympischen Sportler. Es ist ein schöner und ermutigender Tag.“