French Open

Was Kerber hat und Zverev fehlt

von Redaktion

THOMAS JENSEN

Die Matches ähnelten sich, die Bilder danach nicht: Alexander Zverev schrie die Erleichterung nach seinem Sieg in der zweiten Runde heraus – bei Angelique Kerber reichte es nur noch für ein Lächeln und eine sanft geballte Faust. Die beiden verbliebenen Deutschen bei den French Open sind hauptsächlich wegen großartiger kämpferischer Leistungen noch dabei. Vor allem die 34-jährige Kerber dürfte die zwei Spiele noch spüren.

Und trotzdem: Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass einer in Paris triumphieren sollte, wird es Kerber sein und nicht Zverev. Obwohl er zu den Mitfavoriten zählt, und sie sich inzwischen schon erklären muss, überhaupt noch zu spielen. Der Unterschied der beiden ist, dass Kerber im Kämpferischen, mit dem Rücken zur Platzbegrenzung und krampfgefährdeten Waden in ihrem Element ist, egal ob es gegen ein frech aufspielendes Talent oder eine von Haus aus übermächtig erscheinende Kontrahentin geht. Zverev ist das nicht, weil er es bei seiner spielerischen Klasse aber auch nicht brauchen sollte.

Ihren ersten Grand-Slam-Titel hat die gebürtige Bremerin 2016 in Australien geholt. In der ersten Runde wehrte sie einen Matchball ab, im Finale schlug sie Serena Williams. Ein Match, fast noch erstaunlicher als der Titel selbst. Williams war damals auf dem Zenit ihrer Karriere, die Nummer 1 der Welt, hatte noch 2015 drei Grand-Slams gewonnen und acht Endspiele bei den vier großen Turnieren in Serie. Kerber läutete die Zeit ein, in der die US-Amerikanerin mehr Finals spielte, als sie zu gewinnen – sie trug einen großen Teil zum Ende der Serena-Ära bei, obwohl es ihr wohl niemand zugetraut hat.

Und Zverev? Traut sich Ähnliches selbst nicht zu. Am Mittwoch sagte er, er versuche Nadal und Djokovic näherzukommen. Im selben Atemzug hatte er aber geäußert zu wissen, nie so gut zu werden. Gerade wenn es darum geht, in den ersten Runden Kraft zu sparen, kann sich Zverev an den beiden orientieren. Nadals Gier, eine Partie so schnell zu beenden wie einen Zahnarztbesuch, überwältigt einen sogar beim Zuschauen auf der Couch.

Sich ein bisschen von Kerber inspirieren zu lassen, wäre aber auch keine schlechte Idee, vor allem bei der Einstellung gegen große Gegner in großen Matches – seine Bilanz gegen Top-10-Spieler bei Grand-Slam-Turnieren liegt immer noch bei 0:11. Womöglich gibt es in diesen Tagen ja noch eine Kerbersche Lektion in diesem Fach.

thomas.jensen@ovb.net

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