„Niemand arbeitet so intensiv am Mentalen“

von Redaktion

TENNIS Ex-Spielerin Barbara Schett über die neue Dominatorin und Paris-Siegerin Iga Swiatek

München – Barbara Schett (46) war bis 2005 aktive Tennisspielerin, seitdem ist sie TV-Expertin. Kommende Woche begleitet die ehemalige Weltranglisten-7. für Servus TV Deutschland das WTA-Turnier in Berlin. Mit unserer Zeitung spricht die Innsbruckerin über den neuen Star Iga Swiatek und Vorurteile gegenüber dem Damen-Tennis.

Frau Schett, Iga Swiatek reist mit 35 Siegen in Serie und sechs Titeln 2022 im Gepäck nach Berlin – auch für Sie als Expertin die spannendste Frage, ob diese Serie hält?

Ja natürlich, sie ist einfach das größte Thema aktuell. Und mit dem French-Open-Sieg dürfte ihr Selbstvertrauen noch größer sein. Aber: Jeder Lauf endet mal – und ich bin schon gespannt, wie sie die Umstellung auf Rasen schafft. Sie spielt ja mit viel Spin auf der Vorhand und hat eine große Ausholbewegung.

Was ist für Sie das Besondere an Swiatek?

Über das Spielerische brauchen wir gar nicht reden, da ist sie super. Am meisten fasziniert mich, wie sehr sie sich mit Mentalität befasst. Man hat das Gefühl, dass sie in jeder Sekunde daran arbeitet, und ihre Mentaltrainerin reist ja ständig mit. Ich habe selbst mit Sportpsychologen gearbeitet und weiß, wie anstrengend das ist.

Warum genau?

Weil diese Arbeit keine Trainingseinheit ist, die nach einer Stunde beendet ist. Gedanken kommen dauernd auf – und die richtig zu steuern, ist das Schwierige. Sie spricht sehr viel darüber. Ich kenne niemanden, der sich damit so intensiv befasst. Ich denke, dass dies schon ein wichtiger Punkt ist, warum sie so unschlagbar ist.

Wenn Sie selbst schon in diese Richtung gearbeitet haben, waren Sie ja beinahe Vorreiterin …

Mmh, ich glaube, dass heute einfach offener darüber gesprochen wird. Depressionen werden thematisiert oder auch Panikattacken wie bei Simona Halep in Paris. Früher war es einfach tabu, Schwächen einzugestehen.

Kommen wir zur deutschen Nummer 1. Angelique Kerber hat aktuell keinen Trainer. Wie sehen Sie das?

Für mich wäre das nichts gewesen, dafür ist mir der Trainer als Vertrauensperson zu wichtig. Wie das bei Angie genau ist, weiß ich natürlich nicht. Ich vermute, dass sie vielleicht schon jemanden bräuchte – aber sich nach so langer Zeit auf der Tour weiterzuentwickeln, ist ja das Schwere. Die Ideen, wie das gehen soll, müssten dann natürlich zusammenpassen …

In Berlin wird Kerber wohl nicht spielen – sie reist dann mit nur einem Rasenturnier nach Wimbledon …

Ich glaube, sie fühlt sich auf Rasen ohnehin wohl. Sobald sie da einen Fuß draufsetzt, wird sie selbstbewusster – sie hat da ja auch schon gewonnen. Trotzdem ist es schade, wenn sie die Fans in Berlin nicht sehen.

Ein anderes Thema: Seit Paris wird wieder über die Wertschätzung von Frauentennis gegenüber den Männern geredet …

Dass nur eines der zehn Night-Session-Matches ein Frauen-Match war, da war ich auch enttäuscht. Natürlich kannst du Männer- nicht mit Frauentennis vergleichen, die physischen Voraussetzungen sind eben anders. Aber man wird als Frau im Sport belächelt, ich habe das erlebt, nach dem Motto: „Ihr verdient euer Geld leichter.“ Dabei sind die Investitionen ins Training gleich und die finanziellen Möglichkeiten auf der WTA-Tour geringer. Ich habe genauso meine sieben Stunden am Tag trainiert. Daher wäre es schon wichtig, die Plattformen im Tennis zu nutzen, um die richtigen Botschaften, für Gleichberechtigung auszusenden.

Kann ein neuer Star wie Swiatek dem Frauentennis im Kampf um Aufmerksamkeit helfen?

Das kann sein. Aber ich glaube, wichtig sind vor allem Persönlichkeiten. Aber da mache ich mir keine Sorgen. Swiatek hat sich zum Beispiel klar zum Krieg gegen die Ukraine positioniert und Coco Gauff hat eine Botschaft in die USA geschickt und sich gegen Waffengewalt ausgesprochen. So etwas finde ich cool. Bei den Männern sind so klare Ansagen seltener. Interview: Thomas Jensen

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