München – Zur Wochenmitte hat Vital Heynen die Vorzüge der neuen Zeit wieder entdeckt. Nicht dass der Bundestrainer der deutschen Volleyballerinnen das Reisen während Corona besonders vermisst hätte. Doch nun schlenderte er am Strand von Saquarema unweit von Rio de Janeiro entlang, wo der Tross des Deutschen Volleyball Verbandes (DVV) vor der Weiterreise an den nächsten Nations-League-Spielort Brasilia Station machte. „Wenn man dann plötzlich in einer ganz anderen Welt ist – ich genieße das schon.“
In gewisser Weise könnte man mit diesem Satz das ganze Engagement des Belgiers für den DVV überschreiben. Nie zuvor hatte der Mann, der als einer der besten Volleyball-Trainer der Welt gilt, ein Frauenteam trainiert. Nun betritt er also Neuland, mit 52. Die weltumspannende Nationenliga mit dem neu formierten Team ist so etwas wie ein Erstlingswerk.
„Du musst dich schon ein bisschen neu erfinden“, sage Heynen nach der ersten Station in den USA, und dabei geht es nur am Rande um sportliche Inhalte. „Ich hatte mir vorher eine Liste mit Dingen zusammengeschrieben, die ich aus der Männer-Volleyballwelt reinbringen wollte“, erzählte er, „diese hat sich schon nach wenigen Wochen verändert – einiges funktioniert so nicht.“
Aber das passt ganz gut in die Gesamtsituation, die Heynen bei dem Verband vorgefunden hat, bei dem er von 2012 bis 2016 schon einmal das Männerteam trainiert hatte. Vieles ist im Fluss. Alles kann, nichts muss in diesem Jahr. Dem Nationalteam kamen Spielerinnen wie Denise Imoudu und Louisa Lippmann abhanden – die beste Regisseurin und die beste Vollstreckerin. Vieles ist im Fluss. „Aber das ist für einen Neuanfang auch gar nicht schlecht“, findet Heynen. Er ist überzeugt, auch die neue deutsche Mannschaft in die Spitze führen zu können. Am besten schon bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris – Olympia blieb für das deutsche Frauenteam seit 2004 in Athen außer Reichweite. Und die ersten Ansätze sind ja auch nicht schlecht. In der Nationenliga, die kommende Woche mit den Partien gegen die Niederlande, Italien und die Türkei weitergeht, setzte es bislang zwar vor allem Niederlagen. Aber heiße Kämpfe wie beim 2:3 gegen Japan oder dem 1:3 gegen Olympia-Finalist Brasilien lassen hoffen.
Die Rückzüge sind für die belgische Frohnatur, den es einst zum Volleyball verschlug, weil es in seinem Heimatörtchen die einzige Alternative zum Fußball war, eher eine Herausforderung. „Es ist ein gesellschaftliches Thema, dass junge Menschen einen eigenen Weg finden wollen“, sagte er, „es liegt an uns, ihnen zu vermitteln, dass es eine gute und wertvolle Zeit beim Nationalteam ist.“ Man ahnt: Der Mann, der parallel auch den türkischen Topclub Nilüfer Belediyespor trainieren wird, wird im Hintergrund viel kurbeln.
Er macht es aus Überzeugung. „Wenn ich Fußballtrainer wäre, dann würde ich mir jetzt eine Jacht kaufen“, so soll er einmal gesagt haben, „bei mir wird es vielleicht ein Ruderboot.“ Wobei Deutschland für Heynen auch eine Herzenssache geworden ist. „Für mich ist Deutschland einer der schönsten Plätze, um zu leben. Nur die Deutschen wissen das scheinbar nicht“, erklärte er. Mit dem DVV hat er einen Partner, mit dem er sich wohlfühlt. Und genau das braucht er, um sich zu entfalten. Reisen? Nimmt er auf seiner Mission eben mit. Wobei die im weiteren Jahresverlauf ja überschaubar bleiben. Die WM im Herbst steigt in den Niederlanden und Polen. PATRICK REICHELT