„Wir Löwen leben in einer eigenen Welt“

von Redaktion

Helmut Erdmann genießt das Hoch bei 1860, Alexander Moosbauer hat den Bayern-Blues

In der Regionalliga gab es ja in der Saison 2017/2018 zwei Derbys: 1860 gegen Bayern II.

Moosbauer: Ja, da hat die Hütte gebrannt, das ist Fußball! Das hast in der Allianz Arena nur teilweise – so dass man lieber auswärts mitfährt, um mal Stimmung zu erleben.

Kommen Bayern-Fans eigentlich erst ab dem Halbfinale in der Champions League aus der emotionalen Nulllage?

Moosbauer: Ich sag mal so: Wenn wir mal nicht Meister würden, wäre das für mich auch okay. Lieber dafür in ein paar Jahren mal wieder was Gescheites gewinnen.

Erdmann: Dieses Inflationäre bei Bayern – das ist schon nicht so einfach. Wie viel Meistertitel haben sie jetzt? 30, 31 oder 32? Trotzdem haben sie es nicht geschafft, dass ich dies wirklich verinnerliche. Für mich als Löwen-Fan sind immer noch Schalke und Nürnberg die Alt- und Rekordmeister.

Das Klischee vom in der Vergangenheit lebenden Löwen-Fan . . .

Erdmann: Ja, ich weiß . . . Man lebt da schon irgendwo in einer eigenen Welt.

Hat man als Löwen-Fan Bammel vor den nächsten zehn Bayern-Meisterschaften? Oder sagt man gehässig: Sollen sie ruhig weiter sich selber und die Liga kaputt siegen?

Erdmann: Also, ich sehe es so, dass es schon schlimm wäre, wenn das ewig so weitergeht mit der Bayern-Dominanz. Dann ist irgendwann die 2. Liga die interessantere Liga.

Moosbauer: Ich hab Angst, dass sich Bayern irgendwann rauszieht und doch mit anderen europäischen Vereinen eine Superliga aufmacht. Helmut hat schon recht: Die Liga ist stinkfad geworden . . .

Erdmann:  . . . am Ende sind Spiele wie gegen Bochum eine Vorgabe von oben. Da sagt die Donata Hopfen (von der DFL): Macht’s mal was, dass wieder ein bisserl Spannung reinkommt. Ansonsten sind solche Aussetzer nicht zu erklären – auch nicht so ein 0:5 gegen Gladbach im Pokal.

Der DFB-Pokal, der ja auch den Löwen einige Freude bereitet hat.

Erdmann: Oja. Es ist ja nicht so, dass wir keinen Erfolg haben wollen. Wir wollen aufsteigen – und wir wollen auch den Pokal gewinnen. Nach dem Sieg gegen Schalke hatte ich schon alles durchgebucht bis Berlin. Ach ja: Und Champions League würden wir natürlich auch gerne mal spielen.

Wie realistisch ist es denn, dass die aktuelle Fan-Generation noch mal ein echtes Derby erlebt?

Erdmann: Puh, es müsste ja ein Derby unter Wettkampf-Bedingungen sein. Wenn ich schon höre: Machen wir doch ein Derby als Freundschaftsspiel. Das interessiert doch keine Sau! Da machen wir uns nur die Knochen kaputt – und am Ende hat keiner was davon.

Vielleicht klappt’s ja wieder im DFB-Pokal – wie zuletzt 2007/08.

Erdmann: Ja, im DFB-Pokal ist die Chance immer da. Okay, heuer könnt’s schwer werden – bei diesem Erstrundenlos: Viktoria Köln wird schon hart für die Bayern … (lächelt) 1860 tritt in der ersten Runde gegen den deutschen Vizemeister Borussia Dortmund an/Red.). Und dass Bayern absteigt – den Gefallen werden sie uns nicht tun. Mindestens zwei Jahre müssen wir also noch warten.

Moosbauer: (lacht) Schön wäre es schon, im Profibereich mal wieder ein Derby zu erleben. Mit 41 darf ich mich ja schon als alten Bayern-Fan bezeichnen: Amateur-Derbys sind ja ganz nett, aber die Derbys in der 1. Liga sind schon immer ein Highlight gewesen.

Und wie überbrückt man jetzt als Bayern- und 1860-Fan einen Juni ohne WM? Bis zum Trainingslager und den Testspielen vergehen ja noch ein paar Wochen . . .

Moosbauer: Für mich ist das unmöglich, dass man eine WM in Katar macht. Und im Winter die WM – wie soll da Stimmung aufkommen? Sonst um diese Zeit wäre hier der Biergarten voll gewesen.

Erdmann: Ich hab gar nicht gewusst, dass es eine WM gibt. Müssen wir dann wieder unsere ganzen Nationalspieler abstellen? Kleiner Spaß. Nein, auch für mich als Löwen-Fan ist es traurig, dass es keine WM gibt. So ein übergreifendes Turnier ist ja dann doch immer etwas Verbindendes – über die Vereinsgrenzen hinaus. Wenn sogar Herr Erdmann ein Müller-Tor bejubelt … – und auch der Gorenzel plötzlich ein guter Spieler ist. Na, Goretzka heißt der, glaub ich.

Und am Ende schaltet man doch am vierten Advent den Fernseher an, um das WM-Finale zu schauen.

Erdmann: Quasi als Krippenspiel… .Im Grunde ist es eine Katastrophe. Aber klar schaltet man ein. Allein schon, um zu sehen, wie der Neuer dann mit der Regenbogen-Binde an den Scheichs vorbeiläuft. Ins Endspiel kommen wir eh, da führt kein Weg dran vorbei. Der Hansi Flick richtet’s für uns. Und wenn ich schon einen vom FC Bayern lobe . . .

Moosbauer: Natürlich schauen wir – in welchem Rahmen, wird man sehen. Bringst du die Emotionen, die du im Biergarten hast, auch in einen geschlossenen Saal rein?

Erdmann: Du bist ja optimistisch. Corona gibt’s dann auch wieder. Prost, Mahlzeit!

Wie lange macht man als Fan wohl noch den ganzen Kommerz mit?

Erdmann: Ja, wo ist da die Grenze? Was für eine Frage! Da habt’s jetzt vier Tage Zeit gehabt, Euch gescheite Fragen auszudenken… (alle lachen bei dieser Kroos-Parodie).

Moosbauer: Also, wenn ich an das Finale der Champions League denke . . . Mir kommt’s vor, als würden die immer mehr versuchen, den Super Bowl zu kopieren.

Erdmann: Ich hab’s auch angeschaut. Auf einmal kommt da zwischendurch ein Popkonzert, mit dem ein Großteil der Fans gar nichts anfangen kann, und das Ganze zu einem nicht authentischen Event verkommen lässt. Da lobe ich mir die Europa League. Frankfurt hat mich ehrlich begeistert. Das war Fußball pur . . . Unter dem Strich, denke ich, ist man jetzt schon knapp an einer Schwelle dran, dass das Ganze kippt. Wer weiß, ob nicht das Produkt Champions League irgendwann abgelehnt wird. Am Ende ist dann vielleicht der Kreisligist um die Ecke wieder spannender.

Moosbauer: Am Ende geht es um 90 Minuten Fußball. Erlebniswelt schön und gut, aber ich bräuchte es nicht.

Erdmann: Krassere Gegensätze gibt es nicht: Die einen gehen vor dem Spiel in die Erlebniswelt – und wir auf ein paar Hoibe zum Grünspitz.

Und was rät nun der Bayern-Fan dem Löwen-Fan und umgekehrt?

Moosbauer: Der Löwen-Fan ist ja Kummer gewöhnt. Leiden kann er – und er ist, wie Helmut schon sagte, jedes Jahr aufs Neue motivierbar. Hoffen wir also, dass wir in vier, fünf Jahren wieder ein Profiderby haben – am liebsten mit einem der beiden Spiele in einem ausgebauten Grünwalder Stadion.

Erdmann: Mein Rat ist: Spuit’s so weiter wie gegen Bochum und Gladbach – dann könnt’s mit dem Derby vielleicht schon 2023 klappen.

Interview: Uli Kellner und Manuel Bonke

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