München – Wahrscheinlich haben Spieler und Macher von Alba Berlin noch gar keine Zeit gehabt, über den aktuellen Siegeszug nachzudenken. Bis zur Saisonabschlussparty standen vor allem Feiern auf dem Programm. Und alles, was so überliefert wurde von Maodo Lo, Luis Olinde, Malte Delow & Co, sah irgendwie so aus, wie sie in den vergangenen Wochen auch gespielt haben: jugendlich, ausgelassen, kreativ.
Dreimal in Folge sahen die Dinge nun schon so aus. Alba, nicht der, wirtschaftlich ungleich besser gestellte FC Bayern ist das Zentrum der nationalen Basketballwelt. Das erinnert zunehmend mehr an die Zeit der Jahrtausendwende. An 1997 bis 2003 als der Meister stets Alba Berlin hieß. Aber so weit will man nicht denken, in der Hauptstadt genießt man den Augenblick. Den so auch im Club noch vor ein paar Jahren nicht viele für möglich gehalten haben.
Nicht nach dem Einstieg der Bayern. Im Münchner Wettrennen mit den vom Milliardär Michael Stoschek alimentierten Bambergern schien für Berlin nur eine Nebenrolle zu bleiben. Von 2009 bis 2020 blieb die Meistertrophäe unerreichbar. Beim heutigen Gegenspieler FC Bayern wäre eine Durststrecke wie diese undenkbar. In Berlin bewies Manager-Dauerbrenner Marco Baldi ein breites Kreuz.
Warum es anders kam? Natürlich war es ein Glücksgriff, dass sich Alba 2017 die Dienste des spanischen Trainers Aito Garcia Reneses sichern konnte. Der Altmeister verpasste dem Verein nicht nur sein viel bewundertes Spielsystem, das nun auch Nachfolger Israel Gonzales fortführt. Der Trainerguru aber ist auch ein Coach, zu dessen Spezialitäten die Arbeit mit jungen Spielern zählt. Die beiden Spanier gaben und geben auch Nachwuchsspielern viel Freiraum zur Entwicklung. „Der Korridor, in dem sich die Spieler bewegen dürfen, ist breiter als bei anderen“, sagt Ex-Albatros Mithat Demirel.
Für den Szenekenner und früheren Nationalspieler geht die Wurzel des Erfolges noch viel weiter zurück. Der Ex-Nationalspieler verweist auf das gigantische Nachwuchsprojekt, das Clublegende Henning Harnisch aufbaute. Aber was heißt Nachwuchsprojekt: Alba drang tief in die Stadt und ihre sozialen Brennpunkte vor. An 175 Schulen und 25 Horten ist Deutschlands größter Basketballverein aktiv, einen Hort betreibt man selbst.
Das zahlt sich sportlich aus. Teilweise vielleicht auch ein bisschen zu sehr. Franz und Moritz Wagner brachten es geradewegs bis in die Traumfabrik NBA. Aber Malte Delow, Jonas Mattisseck oder Tim Schneider sind heute im Team feste Größen.
Bei den Bayern hatte man eigentlich stets Ähnliches im Sinn. Der „Schweinsteiger des Basketballs“ war nach dem Wiederaufstieg ins Oberhaus 2011 ein geflügeltes Wort – ein Jahrzehnt später verdingen sich die Absolventen des Nachwuchsprogramms fast ausnahmslos andernorts. Jason George ist derzeit das erste Eigengewächs, das zumindest in der BBL an einer größeren Rolle im Team kratzt. Im Schnitt gut 13 Einsatzminuten stehen überschaubare viereinhalb in der Euroleague gegenüber. Aber das ist sicherlich auch nicht verwunderlich. Beim FC Bayern ist der Druck auf dem Kessel ein anderer – Geduld ist ein weitaus komplizierteres Gut.
Noch etwas, worüber man sich in Berlin keine Gedanken macht. PATRICK REICHELT