München – Wahrscheinlich wird Primoz Roglic ihn gar nicht bemerken. Zu dicht sind die Menschenmassen, die in den Alpen dem Tross der Tour de France zujubeln. Doch Zvone Pograjc wird da sein, mit einigen Freunden wird der Mann aus Kisovec seinem Ex-Zögling Roglic aus nächster Nähe die Daumen drücken.
So hat er das eigentlich immer getan, wenn die Umstände auch einmal ganz andere waren. Pograjc ist Skisprung-Trainer und er ist der Mann, der seinen Nachbarsjungen Primoz Roglic einst zu einem vielversprechenden Fliegertalent geformt hat. Junioren-Weltmeister ist Pogacar gewesen – heute ist er der Haupt-Herausforderer von Landsmann und Tour-Titelverteidiger Tadej Pogacar.
Glaubt man Pograjc, dann hätte der 32-Jährige Ähnliches auch auf der Schanze erreichen können. Nicht wegen seines außergewöhnlichen Talents, „da gab es größere“, wie Pograjc betont, „aber er war ein unglaublicher Arbeiter, der sturste Mensch, den ich kenne“. Wann immer er ihm etwas auf den Weg gab, dann war er schon auf dem Weg zu Schanze um es umzusetzen. „Für einen Trainer der perfekte Athlet“, wie der 60-jährige Coach befand.
Doch die Sache hatte einen kleinen Haken: Der junge, der vom Fußball auf die Schanze gewechselt ist, „kannte keine Angst“. An sich nicht die schlechteste Voraussetzung, um es im Sport der Flieger weit zu bringen. Doch bei Primoz Roglic ging die Sache so weit, dass Pograjc ihn manchmal bremsen musste. Ihn von der Schanze schickte. „Ich dachte, ich könnte alles“, sagte Roglic einmal in einer Eurosport-Dokumentation. Bis 2007, bis er auf der Großschanze von Planica vom Himmel fiel. Die Folge: eine Gehirnerschütterung, eine gebrochene Nase – keine schlimmen Verletzungen. Aber das Selbstverständnis war nicht mehr dasselbe. Vier Jahre hat sich Roglic noch auf der Schanze versucht, irgendwo zwischen dem Welt- und dem zweitklassigen Continental Cup. Doch die Gedanken reiften, dass es an der Zeit war, etwas anderes zu tun. „Er wollte unbedingt eine gelbe Startnummer“, sagte Pograjc, „jetzt fährt er um ein ganzes gelbes Trikot.“
Roglic versuchte sich auf dem Rad. Vielleicht hatte auch das ein bisschen mit dem Trainer zu tun. Denn Radsport war dessen zweite Leidenschaft. Und so sah Pograjc auch ziemlich schnell, dass in ihm auch im Sattel das Zeug für mehr steckte. Weil er körperliche Voraussetzung mit einer perfekten Einstellung paarte.
Und es sind diese Dinge, die Roglic in der Heimat noch höher im Kurs stehen lassen als den jugendlichen Himmelsstürmer Tadej Pogacar. „Ich denke, zwei Drittel der Slowenen sind Fans von ihm, ein Drittel von Pogacar“, sagte Andraz Pograjc, Sohn des Trainers und einst selbst Skispringer. Die Geschichte des Quereinsteigers und harten Arbeiters fasziniert die Menschen in Slowenien. Und man habe ihm auch nicht vergessen, dass er „der Eisbrecher war“, der Mann, der zeigte, dass ein Slowene auf dem Rad um große Siege mitfahren kann.
Wobei das das Faszinierende ist an diesem Land, in dem gerade 2,1 Millionen Menschen zu Hause sind und damit weniger als im Großraum München. In all jenen Sportarten, in denen man sich mit Nachdruck versucht, ist Slowenien Weltklasse. Das Skisprungteam um Familie Prevc spielte am Ende der vergangenen Saison mit der Konkurrenz Katz und Maus. Auch Handballer und die Basketballer um NBA-Star Luka Doncic gehören zum Besten vom Besten. Wobei für Pograjc junior neben modernen Fördersystemen gerade die Kleinheit des Landes eine Trumpfkarte ist. „Es ist eigentlich nirgendwohin weit“, sagte er, „wenn du ein Talent bist, dann musst du nicht umziehen oder viele Stunden fahren.“
Nur um dem Helden zujubeln zu können, muss man das manchmal tun. Trainer Zvone Pograjc wird sich in den nächsten Tagen möglicherweise sogar zweimal mit dem Auto auf den Weg nach Frankreich machen. Sollte Roglic die Tour gewinnen, dann wird der Ex-Coach ihn beim Finale in Paris erwarten.