München 1972, die unvergesslichen Spiele. Wir sprechen in unserer Serie „Mein München 1972“ mit Menschen, die Olympia vor 50 Jahren hautnah miterlebt haben und beteiligt waren. Wie Jiggs Whigham. Der US-amerikanische Musiker aus Cleveland/Ohio, heute 78, war von 1965 an Mitglied des Orchesters Kurt Edelhagen, das dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) angeschlossen war und die Tonlage der Spiele setzte. Die musikalische Umrahmung der Eröffnungsfeier gilt bis heute als Maßstab, und die Platte „Olympia-Parade“ dürfte sich in manch alter Vinylsammlung befinden. Jiggs Whigham lebt in Bonn und ist in der Jazzmusikszene noch sehr präsent.
Herr Whigham, Sie haben in Ihrer Karriere Tausende von Konzerten gespielt. Denken Sie manchmal noch an den Auftritt bei der Eröffnungsfeier 1972 zurück?
Natürlich. Das war für uns sehr aufregend. Und sehr kompliziert, das zu organisieren.
Zu Ihrer Musik liefen die Sportlerinnen und Sportler aus 121 Nationen ins Olympiastadion ein.
Ich glaube, dass das gar nicht so bekannt ist: Aber wir haben im Stadion nicht live gespielt, wir haben gemimt, es gab vier oder fünf Tonbänder, die abgespielt wurden. Die Stücke hatten wir im Studio aufgenommen. WDR-Studio 7, vierte Etage. Das Studio kannte ich auswendig.
Ein Groß- und Langzeitprojekt, wie man nachlesen kann.
Wir hatten drei wunderbare Arrangeure: Peter Herbolzheimer, Dieter Reith und Jerry van Rooyen. Jedes Land bekam sein Stück. Daran haben sie eineinhalb Jahre gearbeitet.
Wie war das Orchester besetzt?
Vier Trompeten, fünf Saxofone, sechs Posaunen, drei Rhythmus-Gitarren, Schlagzeug und Percussion. Die Band war bestückt mit Weltklassemusikern – bis auf diesen einen Posaunisten (lacht). Unsere Musik war ohne jede Elektronik spielbar. Das war eben die Zeit, in der es auch beim Eurovision Song Contest noch schöne Lieder gab wie etwa von Udo Jürgens. Inzwischen ist die Musik da nicht mal mehr fünftrangig, es geht mehr um Erotik und die Kleidung.
Wie liefen die Tage in München?
Wir waren ja schon drei, vier Tage vorher da, im Olympiastadion musste der Soundcheck gemacht und alles geprobt werden, auch die Einstellungen der Kameras – die Vorbereitungszeiten sind beim deutschen Fernsehen immer viel zu lang. Die Proben waren tagsüber. Abends haben wir dann unter Peter Herbolzheimer in wechselnden Besetzungen im Jazzclub gespielt. Lassen Sie mich überlegen: In Schwabing war das. Der Club hieß Domicile. Gibt es leider schon lange nicht mehr.
Dann der große Tag im Stadion, der 26. August. Wo saß das Orchester mit seinem Leiter Kurt Edelhagen überhaupt? In der Aufzeichnung der Eröffnungsfeier, die man auf YouTube abrufen kann, sind die Musiker nicht zu sehen.
Wir waren mittendrin, auf Höhe der 50-yards-Linie, würde man im Football sagen.
Sie konnten den Blick schweifen lassen, weil die Band ja Playback spielte. Was sind Ihre Erinnerungen aus dieser Perspektive?
Das Wetter in München war an diesem Tag traumhaft. Deutschland kann ja oft grau sein. Die Eröffnungsfeier war ein richtiger Event. Mich haben die „floating colours“ dieser Spiele beeindruckt, die Architektur des Stadions war inspirierend, man konnte spüren, dass da etwas Klassisches entstanden war wie in Rom oder Griechenland. Auf der Tribüne saßen Max Schmeling und Jesse Owens , von den Sportlerinnen, die ins Stadion kamen, hatten viele Handtaschen dabei – das war die Mode damals. Im Stadion waren 80 000 Menschen, alles war total hoffnungsvoll. Diese Momente bedeuteten für mich: Das ist das wirkliche Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch als die amerikanische Mannschaft einlief: Red, White and Blue, das war mein Lieblingsstück in diesem Potpourri. Ich war versöhnt nach diesem völlig sinnlosen Vietnamkrieg und stolz auf das eigene Land. München tat gut. Doch leider war am 5. September mit dem Attentat auf die israelische Mannschaft die Euphorie vom Tisch. Und fünfzig Jahre später haben wir die Eskalation durch Putin. . . Olympia ist ja leider auch Politik geworden, das hat man in Peking dieses Jahr gesehen.
Die Langspielplatte „Olympia Parade“ war ein kommerzieller Erfolg, sie war das Top-Weihnachtsgeschenk 1972 und stand zwei Monate an der Spitze der deutschen Album-Charts – und damals wurden Platten noch gekauft. Da werden Sie gut daran verdient haben.
Polydor hat die Platte rausgebracht, das war das Label von Kurt Edelhagen, Bert Kaempfert, James Last. Und ja, ich weiß, viele Leute haben die Platte gekauft. Ich bin froh, dass Jazzmusiker einen Platz an der Sonne gefunden haben. Aber dass wir Musiker daran verdient hätten – da kann ich nur lachen. Ich bin ein gebranntes Kind, habe keinen Pfennig gesehen, das ist skandalös. Unser Spiel war ein Dienst am WDR, da wurden wir als Big Band gebucht.
Legen Sie die Platte manchmal in Erinnerung an die Zeit in München und den großen Tag auf?
Ich besitze sie nicht. Ich habe Tausende Platten, aber ich höre keine, auf denen ich selbst spiele. Das sind 130.
Ach, schade. Ihre Erinnerungen an München trübt das hoffentlich nicht. Wie lange konnten Sie damals eigentlich bleiben?
Unser Job war mit der Eröffnungsfeier dann ja auch erledigt, und wir fuhren wieder weg. Ich habe die Spiele weiter verfolgt und mir gedacht: Oh, DDR und Sowjetunion, die sind gar nicht schlecht, so wie man das im Westen immer behauptet hatte. Die haben natürlich viel investiert. Nach München bin ich immer wieder gerne gekommen. Gibt es das Donisl noch? Da musste ich immer hin. Und in den Augustinerkeller auf einen Schweinsbraten, Knödel und ein Helles. Trinken Sie ein Bier für mich, bis ich das nächste Mal komme.
Interview: Günter Klein