München – Vor der Schacholympiade (ab dem 28. Juli in Chennai/Indien), geht es für Elisabeth Pähtz noch mal in den Urlaub, Den Kopf freibekommen. Es gibt viele Themen, die die 37-Jährige aktuell beschäftigen. Vor dem Abflug spricht Pähtz, seit 16 Jahren die Nummer eins in Deutschland sowie Großmeisterin, mit unserer Zeitung über Auswirkungen des Kriegs, Bobby Fischer und Wunderkinder.
Frau Pähtz, welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Schachwelt?
Wir haben in unserer Frauenmannschaft in der Bundesliga Ukrainerinnen und Russinnen gemeldet. Von den Ukrainerinnen haben wir dann gehört: Wir dürfen nicht mit den Russen in einem Team spielen. Da fliegt dir plötzlich die Mannschaft auseinander, weil du zwischen Ukrainern und Russen jonglieren musst. Das ist eine schmerzhafte Erfahrung.
Können Sie das genauer beschreiben?
Du weißt nicht, wie du dich verhalten sollst. Natürlich gilt das ganze Mitgefühl den ukrainischen Teamkolleginnen und sie tun mir leid, aber die Russinnen können ja auch nichts für den Krieg. Der Krieg macht Schach auf einmal extrem politisch. Der Präsident des Weltverbands ist ein Russe, er kandidiert im Juli bei der Olympiade erneut. Ein Konkurrent kommt aus der Ukraine. Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, jemanden als Präsidenten zu haben, der weder aus Russland noch der Ukraine kommt. Es muss doch unglaublich schwierig sein, als Betroffener Neutralität zu bewahren, emotionslos zu handeln und objektiv zu entscheiden.
Sie sprechen fließend russisch. Konnten Sie mit Ihren Sprachkenntnissen schon helfen?
Ich lebe außerhalb Berlins in einem Dorf. Durch Zufall habe ich zwei ukrainische Flüchtlinge getroffen, die Probleme mit der Kommunikation bei der Poststelle hatten. Ich habe geholfen zu übersetzen und saß dann später mit fünf Ukrainerinnen aus Odessa beim Bürgeramt, um sie anzumelden. Das war eine Erfahrung, in der es sich sehr ausgezahlt hat, dass ich russisch spreche.
Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie aufgrund der Begleitumstände ein wenig die Lust am Schach verloren haben.
2020 konnten wir durch den Lockdown gar nicht mehr spielen. Das hat mich schon extrem belastet. 2021 hatte ich dann mein vermutlich erfolgreichstes Jahr überhaupt. Vielleicht lag das auch an der einjährigen Pause. Ich merke, wenn Sachen frisch aufkommen, belastet es mich psychisch relativ schnell. Erst Corona, jetzt der Krieg. Jetzt ist wieder so eine Phase, in der ich psychisch Ruhe brauche und vielleicht auch nicht den unbedingten Willen zum Schach spielen habe. Erst recht, wenn ich sehe, dass viele meiner Teamkolleginnen nicht antreten können. Da hat es sich irgendwie auch falsch angefühlt, internationale Turniere zu spielen.
Während Corona haben Sie Schach-Livestreams auf der Plattform Twitch gestartet.
Ich habe mit einer ukrainischen Freundin auf Twitch gestreamt. Wir waren beschäftigt und haben den Spaß wiederentdeckt. Zudem hat mir das Ganze neue Schüler und Projekte beschafft. Dadurch konnte ich finanziell 2020 zumindest halbwegs überleben.
2019 sind Sie aus dem deutschen Schachverband ausgetreten, haben sich für Gleichberechtigung eingesetzt. Was hat sich seitdem verbessert?
Im Verband hat sich alles verbessert. Es gab eine 180 Grad Wendung. Es gibt Förderprogramme für die nächste Generation, wir haben die gleiche Anzahl von Lehrgängen und Online-Trainings. Allgemein ist es aber immer noch so, dass die Preisgelder bei den Männern oft dreimal so hoch sind wie bei den Frauen. Das finde ich nicht gerechtfertigt, die Unterschiede sind hier zu krass.
Bobby Fischer sagte einst: „Sie sind alle schwach, alle Frauen.“ Wie sieht es heute mit Sexismus in der Schachwelt aus?
Sexismus gibt es natürlich immer noch, abfällige Kommentare auch. Es gibt eine neue Generation á la Fischer, die eine rückständige Meinung vertreten. Aber es ist definitiv seltener geworden. Als ich eine Jugendliche war, kam es vor, dass männliche Kontrahenten unter den Tisch geschaut haben, um zu sehen, was ich anhabe. Vor 15 Jahren gab es solche Vorfälle bestimmt häufiger. Da hat sich zum Glück vieles getan. Es gibt aber mittlerweile auch eine Kleiderordnung. Wenn du als Frau mit einer zu kurzen Hose oder zu tiefem Ausschnitt erscheinst, wirst du vom Schiedsrichter wieder zurückgeschickt und musst dich umziehen.
Im Schach wird häufig von Wunderkindern gesprochen. Das war bei Ihnen damals so, aktuell gilt der 17-jährige Vincent Keymer als Wunderkind.
Den Begriff Wunderkinder finde ich übertrieben. Das würde bedeuten, wir hätten irgendwas getan, was andere nicht hinbekommen. In meinem Fall war es einfach intensives Training. Wenn Vincent Keymer nicht so performen würde, wie er performt, wäre irgendwas seltsam. Bei dem Trainings- und Turnierpensum sowie der intensiven Förderung muss ja Erfolg da sein. Der Junge hat abgesehen davon ein unglaubliches Talent und ist unsere größte Hoffnung, dass der WM-Titel eines Tages mal nach Deutschland kommt.
Erst Urlaub, dann Olympiade. Ihre Erwartungen?
Im Urlaub werde ich eine Stunde am Tag dem Schach widmen, meine ganzen Eröffnungsvarianten wiederholen. Es ist wie Vokabeltraining. Bei der Olympiade haben wir vermutlich das stärkste Team, was wir je hatten. Jung und gut – das ist eine erfolgversprechende Mischung. Die Mädels haben alle Kraft, da sind richtige Energiebomben dabei (lacht). Ich gehe mit der Erwartung rein, dass wir es in die TopTen schaffen können.
Interview: Nico-Marius Schmitz