„Tollste Hafenstimmung, die ich erlebt habe“

von Redaktion

In Kiel fand das Segeln statt: Willy Kuhweide erinnert sich – auch an die Chiemsee-Diskussion

„Mein München 1972“ ist in seinem Fall „Mein Kiel 1972“: Willy Kuhweide, Deutschlands bester Segler, ging seinem Sport am anderen Ende der Republik nach: an der Ostsee. Ja, auch dort war Olympia – aber München an einem bestimmten und traurigen Tag gar nicht fern. Ein Gespräch über die alten Zeiten mit Kuhweide (79), der heute in Arizona lebt.

Herr Kuhweide, der ursprüngliche Plan für München 1972 lautete: Segeln auf dem Chiemsee.

Aus bayerischer Betrachtung war das absolut logisch. Und der Chiemsee, auf dem ich häufig gesegelt habe, ist auch ein fantastisches Revier. Nur: Die Statuten enthalten die Auflage, dass die olympischen Segelwettbewerbe auf offenem Gewässer stattfinden müssen. Ein Binnengewässer wäre also gar nicht erlaubt gewesen. Allerdings gab es später größere Diskussionen, wie das zu definieren ist. 1976 in Montreal haben wir auf dem Ontario-See gesegelt, und der ist im Grunde genommen auch ein Binnensee, aber halt riesig.

1972 ging es nach Kiel, bekannt von der Kieler Woche. Alternativlos?

Die Kieler Woche ist die größte Segelserie, die es auf der Welt gibt. Auch Lübeck/Travemünde waren im Spiel. Es wurde aber klar Kiel.

Wie war die Atmosphäre in Kiel?

Ich habe bei all meinen Olympischen Spielen selten eine so tolle Stimmung erlebt wie in Kiel.

Wie äußert sich gute Stimmung beim Segeln? Im Wettkampf sind Sie ja weit draußen und können nichts hören.

Es ist einfach die Hafenstimmung der Anlage. Es war nicht nur so, dass wir aktive Segler da unsere Boote hatten, sondern dass die Zuschauer sich auf den Terrassen und auf festgelegten Wegen bewegen konnten. Es bestand Kontakt, man konnte mit allen reden. Es gab nichts Negatives: Ob Ost- oder Westblock, Norden oder Süden – es war eine freundliche Stimmung.

Kiel hatte eine eigene Eröffnungsfeier, ein eigenes Olympisches Feuer.

Das ist bei den Events, die ich mitgemacht habe, immer so gewesen, dass der Segelort eine eigene Eröffnungs- und Schlussfeier hatte. Man hatte uns allerdings angeboten, dass wir zur Eröffnungsfeier nach München fliegen könnten. Mein Vorschotmann Karsten Meyer und ich fühlten uns aber unwohl, weil uns das zeitlich zu dicht gedrängt schien. Die Vorbereitung der Regatten war uns wichtiger. Deshalb haben wir auf München verzichtet. Leider.

Was hat man denn in Kiel von Münchens Olympia mitbekommen?

Was man im Fernsehen sah – und über die Publikationen des Nationalen Olympischen Komitees, da wurden Informationsblätter verteilt. Als Segler ist man an einem Ort wie Kiel auch den ganzen Tag beschäftigt. Man ist schon zweieinhalb bis drei Stunden vor dem Start der Regatta im Hafen, geht seine Routine durch. Alleine der Anmarschweg vom Hafen zum Regattarevier betrug – abhängig von der Windstärke – durchschnittlich eine Stunde.

Haben Sie es als Defizit empfunden, dass die Segler unter sich blieben? Denn der Reiz Olympias ist: Man lernt Sportler aus anderen Metiers kennen.

Ja, das war das Manko. Bei allen Olympischen Spielen war die Entfernung zum Yachthafen so groß, dass man allenfalls am Tag der An- und Abreise mal ins Olympische Dorf gucken und mit den Sportkollegen in Kontakt kommen konnte. Das war bei uns flau, wir als Segler waren ziemlich isoliert.

1984 in Los Angeles waren Sie Fahnenträger der deutschen Mannschaft – und da mal näher dran?

Von Long Beach bis zum Olympiastadion war das im Verkehr auch eine Stunde. Aber wir haben die Überschaubarkeit genutzt und Dorf und Stadion besucht, was bei Kiel – München gar nicht möglich war.

Sie waren bei Ihren fünf Olympischen Spielen in drei verschiedenen Bootsklassen am Start. Im Finn Dinghy wurden Sie 1964 Olympiasieger, im Starboot gewannen Sie 1972 Bronze, danach folgte eine Ära im Soling. Wie findet ein Segler sein Boot?

Ich bin von meinen Eltern her auf einem 8mR-Boot „Wunschtraum“, einem sehr großen Kielboot, aufgewachsen. Mein Vater hat es dann verkauft. Mir wurde angeraten, ich sollte in die Jugendabteilung des „Verein Seglerhaus am Wannsee“ in Berlin gehen. Das habe ich 1956 als 13-Jähriger gemacht und dort mit dem „Piraten“ angefangen, der in der Jugendabteilung verwendet wurde. Nach zwei Jahren kam der große Schritt. Ein auswärtiges Mitglied, längst nach England verzogen, hatte dem VSaW aus alter Verbundenheit ein Finn Dinghy gespendet. Der damalige Jugendleiter Harry Piehl machte sich dafür stark, dass mir das Boot zugesprochen wurde und nicht einem älteren Juniorensegler. Man erkannte, dass ich überproportional talentiert und kräftig war, ich habe auch Leichtathletik betrieben. Das Finn Dinghy habe ich 13 Jahre gesegelt, die letzten zwei Jahre überlappend mit dem Starboot. Nach Kiel 1972 wurde – was uns alle negativ überraschte – das Starboot aus dem Programm genommen. Da ich weiter olympisch segeln und nicht ins Finn Dinghy zurück wollte, war die Idee, dass ich einen zweiten Vorschotmann dazunehme und in die größte Klasse, den Soling, umsteige.

Wie haben Sie das Segeln mit dem Beruf zusammengebracht? Sie waren Pilot bei der Lufthansa.

Ich habe es immer so erklärt: In der Fliegerei verdiene ich mein Geld, das ich dann in der Segelei ausgebe. Ich war einer der ganz wenigen, wenn nicht der einzige, der zu hundert Prozent Amateur war. Die freien Tage zwischen meinen Einsätzen als Pilot und den Urlaub, zwei-, dreimal sogar unbezahlten, habe ich genommen, um an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teilnehmen zu können.

Waren Sie mit Bronze 1972 zufrieden?

Es war leider so: In dem Moment, wo sich das Attentat in München ereignete, brach innerhalb allerkürzester Zeit die Stimmung in Kiel zusammen. Wir waren alle vor den Kopf geschlagen, total deprimiert, wussten nicht, was wir denken und machen sollten. Es hat zwei Tage gedauert, bis in München die, wie ich finde, richtige Entscheidung getroffen wurde, dass die Spiele weitergehen. Mit dieser Verzögerung und einer ziemlich schlechten Laune haben wir die letzten drei Regatten in Kiel noch gesegelt. Ich war ein paar Monate vorher Weltmeister im Starboot geworden und galt als Favorit, doch bei einer Wenig-Wind-Regatta – es war die drittletzte – ist mir die mögliche Goldene entglitten, und ich musste mich mit der Bronzemedaille zufrieden geben.

Viele deutsche Sportler, die bei Olympia 1972 waren, bilden seitdem eine Clique. Gehören Sie auch dazu?

Überhaupt nicht. Als Pilot hatte ich erst Hamburg und dann Frankfurt als Einsatzort, in diesem Beruf hat man auch kein Wochenende. Und 1986 bin ich aus Deutschland weggegangen, um die Leitung der Lufthansa-Flugschule in Arizona zu übernehmen, wo wir mit 135 Fluglehrern und 66 Beechcraft-Flugzeugen jährlich 1000 Piloten ausbildeten. Mein Leben war einfach kein Standard.

Interview: Günter Klein

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