„Fühle noch die gleiche Befriedigung“

von Redaktion

FORMEL 1 Max Verstappen über den Titelkampf, Mick Schumacher und unsportliche Fans

München – Max Verstappen (24) ist amtierender Weltmeister, hat im aktuellen WM-Kampf 38 Punkte Vorsprung auf Verfolger Charles Leclerc (24, Ferrari) und sitzt in einem bärenstarken Red Bull. Der Niederländer könnte zur Saison-Halbzeit also extrem entspannt sein – und ist es im Interview mit unserer Zeitung auch. Warum er auf der Strecke immer den nötigen Biss entwickelt, erklärt er hier:

Herr Verstappen, 2021 zu dieser Zeit waren Sie auf der Jagd nach Ihrem ersten Titel. Jetzt sind Sie der Gejagte. Wie fühlt sich das an?

Ich fühle mich sehr gut dabei, extrem entspannt. Meine Zielsetzung hat sich aber nicht geändert: Ich will immer noch am besten jedes Rennen gewinnen. Ich fühle immer noch die gleiche Befriedigung dabei. Aber klar, es ist sehr nett, diesen Titel in der Tasche zu haben. Ich habe mir damit meine selbst auferlegte Pflicht erfüllt. Denn alles, was jetzt noch kommt ist ein Bonus.

Ihr Vater sagte uns kürzlich, Sie hätten seit Ihrem Titelgewinn in der letzten Runde in Abu Dhabi nie mit ihm darüber gesprochen haben.

Nein, weil alles darüber gesagt wurde. Es war eine so emotionale und bis zuletzt angespannte Situation, das wollte ich erst mal sacken lassen. Außerdem war ich schon mit dem neuen Auto beschäftigt, mit allem, was das neue Jahr mit sich bringt. Vielleicht werde ich später wie ein Wasserfall reden und meine Emotionen von Abu Dhabi jedem mitteilen wollen, ob er will oder nicht…

Aber Ihnen ist bewusst, wie speziell es war, was Sie in jungen Jahren erreicht haben?

Schon. Aber wie gesagt: Leben geht weiter. Und die Ziele bleiben.

Was benötigen Sie am meisten, um Titel zu gewinnen?

Auf jeden Fall musst du immer ein wenig Glück haben. Wie am Sonntag in Spielberg. Ferrari war klar schneller, ich hatte große Probleme mit dem Reifenverschleiß. Deshalb konnte ich mit dem zweiten Platz extrem gut leben. Und: Du brauchst zum Beispiel immer ein konkurrenzfähiges Auto. Was mich betrifft: Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich glaube, was ich am meisten genieße: Wenn ich mit einem Auto gewinnen kann, das nicht das allerbeste ist. Ohne arrogant zu klingen: Das ist mir im vergangenen Jahr ein ums andere Mal gelungen.

Red Bull ist in dieser Saison extrem konkurrenzfähig – das müsste Ihnen doch viel Titel-Vertrauen geben?

Ja, schon. Und ich glaube auch, dass wir in den nächsten Jahren Topmaterial haben werden. Aber ich halte den Ball lieber flach und konzentriere mich aufs Hier und Heute. Was ich nämlich gelernt habe: Die Kräfteverhältnisse können sich schnell ändern. Andererseits fühle und mag ich, dass Formel 1 ein Teamsport ist. Du repräsentierst Hunderte von Menschen, die davor alles getan haben, damit du in der bestmöglichen Position stehst. Wenn ich mal ein Auto oder Teile davon zerstöre, ist mein erster Gedanke, dass ich gerade diesen Helfern wieder unnötig viel Arbeit beschert hast.

Die Fans sind ähnlich emotional wie beim Fußball. Mal wird Lewis Hamilton ausgepfiffen, mal Sie. In Spielberg gab es verbale Ausraster (auch sexistische unter den Fans, die Red.). Noch schlimmer wird in den sozialen Medien polarisiert. Wie gehen sie damit um?

Erstmal: In jedem Land entscheiden die Fans auf der Haupttribüne über die Stimmung. Das sind nämlich die Fans, die wir bewusst, auch laut hörbar, wahrnehmen. Ich denke, auf anderen Teilen gibt es immer eine gesunde Mischung. Grundsätzlich finde ich es schade, dass die Fans in der Tat wie Fußballfans reagieren. Sie pfeifen immer den Gegner aus. Ich finde das schade, weil wir oft extrem harte, sportlich hochwertige Kämpfe austragen. Da müsste man – bei aller Rivalität – auch die sogenannten Gegner mit großem Respekt behandeln. Was in Spielberg passiert ist, hat alle Grenzen gesprengt. Das ist ein absolutes No-Go!

In Silverstone kämpften Sie mit Mick Schumacher extrem hart aber fair um den siebten Platz – dachten Sie daran, dass Sie als Bub zusammen mit Mick und Ihren beiden Vätern zusammen Urlaube verbracht haben?

Zuerst mal musste ich deshalb um den siebten Platz kämpfen, weil ich ein extrem beschädigtes Auto hatte. Aber natürlich fuhr ich so, als ob es um den Sieg gehen würde. Das liegt zum Glück in meiner Natur. Bei einem Zweikampf, egal, um welchen Platz es geht, will ich am Ende der Sieger sein. Das nennt man wohl die Sucht nach Wettbewerb. Es freute mich aber, dass Mick trotzdem die ersten Punkte einfahren konnte. Mick gehört ja auch zu den Piloten, mit denen ich schon als Junge zusammen Zeit verbracht habe.

Was auffällt: Ihre Zweikämpfe mit Leclerc wirken weniger intensiv und emotional als jene mit Lewis Hamilton. Woran liegt das?

Das liegt daran, wie sehr man die andere Person respektiert. Ich kenne Leclerc wie gesagt schon sehr lange. Damit hast du automatisch mehr Respekt voreinander. Man kennt sich logischerweise auch viel besser.

Für die meisten Experten gehören Sie schon jetzt zu den größten Fahrern, Sie wurden mit Mozart verglichen, in Ihrer Heimat mit dem legendären Fußballer Johan Cruyff, von Ihrem Mentor Helmut Marko mit dem unvergesslichen Ayrton Senna. Aber wenn überhaupt, sagten Sie mal, sei Ihr Vater Ihr Vorbild. Welcher Vergleich schmeichelt Ihnen am meisten?

Ehrlich gesagt hatte ich nie ein Idol, obwohl ich viele für ihre Leistung extrem respektiert habe. Aber ich so sein wie ein anderer. Ich habe mir schon früh gesagt: Wenn du einen Helden exakt kopieren willst, kannst du maximal genauso gut sein wie er. Aber niemals besser.

Wie entspannen Sie in Ihrer begrenzten Freizeit – und können Sie die Formel 1 noch genießen?

Grundsätzlich nervt mich die Reiserei zu den Rennen, die sehr viel Zeit beansprucht. Ich liebe aber das Racing, in der Formel 1 oder an der Playstation. Ich spiele auch gerne FIFA 22. Ich verbringe mit beidem viel Zeit, weil ich auch dort so gut wie möglich sein will, um gewinnen zu können. Ich kann mich nicht mit Sportarten beschäftigen, in denen ich nicht gut genug bin. Deswegen verschwende ich meine Zeit beispielsweise nicht mit Golf oder Tennis. Am liebsten aber entspanne ich, wenn ich mit meiner Familie und engen Freunden zusammen bin.

Interview: Ralf Bach

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