München – Knappes Scheitern im Halbfinale bei Olympia in Tokio, zwei Operationen, dann der Krieg in der Ukraine. Dimitrij Ovtcharov, gebürtiger Ukrainer, hatte es zuletzt nicht leicht. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der 33-Jährige über die Heim-EM im August in München, seine Ziele dort und über sein Leben seit Kriegsausbruch.
Herr Ovtcharov, nach Knöchel-OP, Kriegseinbruch und Vereinswechsel von Russland nach Neu-Ulm: Wie geht es Ihnen?
(Atmet tief durch) Ja, ich habe viel erlebt in den letzten Monaten. Da kam ein Ding nach dem anderen: Olympia letztes Jahr war riesig, dann die Verletzung mit zwei OPs, dann hat der Krieg begonnen… Wenn man vorher schon dachte, man hätte ein Riesenproblem, wusste man dann: Ne, man hat gar kein Problem. Das war echt krass. Aber es gab auch Positives: Der Knöchel hält und ich habe Nachwuchs bekommen.
Glückwunsch dazu! Im August stehen die European Championships in München an. Verspüren Sie schon Vorfreude?
Total! Das ist ein absolutes Highlight. Hier in der Rudi-Sedlmayer-Halle zu spielen, wo ich schon als Zuschauer zu Gast war… richtig cool!
Gibt’s im Tischtennis eigentlich so etwas wie einen Heimvorteil?
Klar, auf jeden Fall! Vielleicht nicht so sehr wie im Vereinssport, aber wenn man gewisse Hallen kennt, hat man dort ein gutes Gefühl. Hier in München, in der Rudi-Sedlmayer-Halle, haben wir noch nicht gespielt. Aber ich bin sicher, dass die Zuschauer bei den European Championships hinter uns Deutschen stehen werden und das wird sicher ein paar Prozentpunkte ausmachen.
Mit denen reicht es dann zum EM-Titel Nummer drei?
Normalerweise muss ich eigentlich sagen, da will ich unbedingt drum mitspielen. Mein Comeback lief viel besser als erwartet. Das gibt mir Hoffnung, hier bei der EM um den Titel zu kämpfen.
Es wäre ein toller Erfolg in düsten Zeiten. Sie sind in Kiew geboren. Welche Verbindung haben Sie noch zur Ukraine?
Das war hauptsächlich immer meine Oma, die bis zuletzt in Kiew gewohnt hat. Die haben wir mit Kriegseinbruch aus Kiew herausgeholt. Die Reise war für sie aber unheimlich schwer, sie ist gefallen und hat es nicht überlebt.
Unser Beileid.
Vielen Dank. Das war schwer für mich, das muss ich sagen. Ansonsten habe ich keine Familie mehr dort, bin aber eben dort geboren und fühle mich der Region auch noch verbunden.
Wie haben Sie die Zeit seit dem 24. Februar erlebt?
Am Anfang stand ich richtig unter Schock. Dann ist uns schnell klar geworden, dass wir meine Oma da rausholen müssen. Das hatte absolute Priorität. Dann, so muss man es sagen, habe ich sie eben durch den Krieg verloren. Auf der anderen Seite habe ich zwölf Jahre in Orenburg in Russland gespielt. Dort hatte ich Hunderte von Kindern unterstützt und es war eine sportliche Heimat für mich geworden.
Dann der Wechsel nach Deutschland. Würden Sie diesen als Flucht bezeichnen?
Das nicht. Es war aber klar für mich, dass es in Russland nicht weitergeht. Ich kenne viele Kollegen in Russland, Vladimir Samsonov ist einer meiner besten Kollegen im Tischtennis überhaupt. All denen dann zu sagen, dass wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen, war für mich sehr hart. An allen Fronten war es einfach echt schwierig.
Hat der Sport von da an überhaupt noch eine Rolle für Sie gespielt?
In den ersten Wochen auf jeden Fall nicht. Zum Glück war ich da auch noch verletzt, das hat dann sozusagen gut gepasst. Mittlerweile versuche ich aber, mich wieder voll auf den Sport zu konzentrieren. Der Sport war und ist für mich eine gute Art und Weise, mich von allem anderen abzulenken.
Auch im Tischtennis wurden die russischen und belarussischen Spieler von den internationalen Wettbewerben ausgeschlossen.
Ja, das finde ich persönlich aber nicht richtig. Ich weiß jetzt nicht, was die mit alledem zu tun haben. Die sind teilweise noch minderjährig. Sport war lange Zeit nicht politisch, mittlerweile ist er sehr politisch. Für die einzelnen Sportler ist es in jedem Falle schade. Seien Sie mir nicht böse, aber mehr möchte ich über das ganze Thema nicht reden. Dazu wurde alles gesagt. Ich bete und hoffe einfach jeden Tag, dass es der letzte in diesem Krieg sein wird.
Interview: Jacob Alschner