München – Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bereits zum fünften Mal reist der FC Bayern vom 18. bis 24. Juli in der Saisonvorbereitung in die USA. Keine andere Liga boomt weltweit so sehr wie die Major League Soccer (MLS). Während immer mehr Bundesliga-Profis den Sprung über den Atlantik wagen, gehen viele Rohdiamanten den umgekehrten Weg. In einer Serie erklären wir den Aufschwung. Heute Teil zwei: Die Diamanten-Fabrik.
Ein Flüchtling aus Ghana, der in Kanada das Kicken lernt und beim FC Bayern von Null auf Hundert durchstartet. Keine Frage: Alphonso Davies (Vancouver Whitecaps) hat die Wahrnehmung der MLS-Talente bei vielen europäischen Profi-Klubs (noch mehr) zum Positiven verändert. Der märchenhafte Aufstieg des Linksverteidigers hat ein Hauen und Stechen um die größten Juwele ausgelöst. Seit seinem Transfers 2019 für rund zehn Millionen Euro gingen bis heute acht weitere Nordamerika-Talente für mindestens sechs Millionen Euro über den Ladentisch – angeführt von Ricardo Pepi (für 16 Mio. Euro nach Augsburg) für zusammengerechnet 71 Mio. Euro. Um zu sehen, was die Jungs draufhaben, reicht ein Blick auf die US-Nationalmannschaft. Christian Pulisic stemmte mit Chelsea den Champions-League-Pott in die Höhe, Weston McKennie räumt bei Juventus Turin im zentralen Mittelfeld auf, Sergino Dest ist beim FC Barcelona gesetzt und für Brenden Aaronson (Salzburg/rund 33 Mio. Euro) und Tyler Adams (Leipzig/17 Mio. Euro) blätterte Premier League Klub Leeds diesen Sommer satte 50 Millionen Euro auf den Tisch. Wo kommen alle diese Roh-Diamanten plötzlich her?
Der Faktor Spaß: Basketball, Football, Baseball. Die klassischen Lieblingsportarten dominieren zwar nach wie vor. Doch immer mehr Kids kicken. „Vor zehn Jahren haben die Jugendlichen Fußball noch als zweites oder drittes Hobby betrieben. Das ist jetzt anders“, sagt Washington-Profi Julian Gressel. „Es gibt eine riesige Auswahl an Talenten. Die Liga hat das erkannt und will das Potenzial unbedingt fördern und nutzen. Das macht sich jetzt mehr und mehr bezahlt.“
Der Faktor Förderung: Um die Rohdiamanten zu Superstars zu formen, drehen Liga, Vereine und Verbände an mehreren Stellschrauben. Zwei Dinge spielen dabei für Axel Schuster eine besonders große Rolle. Der Ex-Schalker ist seit 2019 Sportdirektor und Geschäftsführer bei den Vancouver Whitecaps. „Die Trainerausbildung der Verbände wird immer besser“, sagt Schuster unserer Zeitung. Gleichzeitig gebe es immer mehr Ex-Profis, die in den Vereinen als Coaches eingebunden würden. Zudem sei auch die Talentsichtung „viel besser“ geworden. Extrem wichtig – denn allein im sogenannten Acedemy Center der Whitecaps sind, über mehrere Stützpunkte in ganz Kanada verteilt, insgesamt über 20 000 Jugendspieler registriert! „Bei der Masse an Talenten ist es schwierig, die hundert Besten eines jeden Jahrgangs zu finden. Das Verständnis dafür, was ein Spieler in welchem Alter können muss, um ihn später zum Profi formen zu können, ist jetzt aber da“, erklärt Schuster. Und auch die MLS drückt in Sachen Talentförderung aufs Gaspedal. 2022 ging die MLS Next Pro an den Start, die künftig den Unterbau der Profis bilden soll. So sind 20 von 22 Teams in der Liga Nachwuchsmannschaften der Profi-Klubs. Damit die nicht doch einfach nur auf Spieler aus Übersee setzen, ist die Anzahl der Kaderplätze für Ausländer begrenzt. 2022 wurden 224 davon auf 28 Klubs aufgeteilt.
Der Faktor Marketing: Das Risiko, ein MLS-Talent zu verpflichten, ist ja überschaubar. Geht ein Juwel wie Davies aber durch die Decke, stehen potenzielle Sponsoren schnell Schlange. Dass Bayern neben ihrem Büro in New York auch eine Partnerschaft mit dem FC Dallas unterhalten, hat deshalb auch wirtschaftliche Gründe. Dass sich die Kooperation sportlich lohnen kann, zeigt das Beispiel Chris Richards. Im Frühjahr 2018 schaffte der Verteidiger den Sprung aus Texas nach Bayern.
Übrigens: Viel hätte nicht gefehlt, und Alphonso Davies wäre gar nicht in München gelandet. „Es waren einige Vereine interessiert. Der VfB Stuttgart war der erste Verein, der sich gemeldet hat“, verrät Schuster. „Dann kamen Vereine aus Spanien und England, bis die Bayern Gas gegeben haben und die ersten waren, die sich für ein Treffen ins Flugzeug gesetzt haben.“ JOHANNES OHR