„Es hat mich von innen aufgefressen“

von Redaktion

Die russische Fußballerin Nadya Karpova spricht über den Krieg, Hoffnung und Schmerz

München – „Es hat Zeit gebraucht“, sagt Nadya Karpova, „um über diesen Horror zu sprechen“. Die Fußballerin (24 Nationalspiele für Russland) gehört zu den wenigen russischen Athleten, die sich offen gegen den Angriffskrieg von Vladimir Putin aussprechen. Im Juni gab Karpova der BBC ein Interview, nun hat sich die 27-jährige Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung genommen. Karpova, die in Spanien bei RCD Espanyol spielt, möchte nicht mehr schweigen. Trotz der möglichen Konsequenzen für sie.

Nadya Karpova, wann haben Sie realisiert, dass Vladimir Putin einen Krieg in der Ukraine führen wird?

Zunächst habe ich für einige Zeit nicht verstanden, was wirklich passiert. Als Putin seine „Spezialoperation“ angekündigt hatte, dachte ich, dass er den Donbass übernehmen möchte. Ich habe mich sofort über unabhängige Medien informiert und schnell realisiert, dass ein richtiger Krieg begonnen hat. Das war ein heftiger Schlag ins Gesicht. All die Nachrichten über den Völkermord der russischen Armee in der Ukraine brechen mein Herz. Es ist unglaublich. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einen Krieg so nah erleben werde.

War es für Sie sofort klar, dass Sie sich öffentlich gegen den Krieg äußern?

Ich habe lange darüber nachgedacht, bevor ich der BBC das Interview gegeben habe. Aber ich konnte nicht länger still sein. Ich wollte einfach schreien. Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit hat mich von innen aufgefressen. Mein Gewissen hat es mir nicht erlaubt, weiter zu schweigen. Ich habe nicht über mögliche Konsequenzen für mich nachgedacht, dieser Krieg ist einfach zu schrecklich. Menschenleben und Freiheit sind die wichtigsten Dinge überhaupt. Wir könnten uns mit der Wissenschaft beschäftigen, mit sozialen Problemen, Umweltproblemen. Aber stattdessen werfen wir uns in der Zeit selbst zurück und töten Menschen. Es ist einfach grausam.

Haben Sie keine Angst, dass Sie wegen Ihrer Äußerungen nie wieder in Ihre Heimat reisen könnten?

Diesen Sommer werde ich nicht nach Russland reisen. Aber grundsätzlich muss ich betonen: Ich habe keine Angst. Ich könnte nicht friedlich schlafen, wenn ich nicht weiter eine klare Haltung gegen den Krieg zeigen würde. Das war nicht sofort so. Es hat Zeit gebraucht, ehe ich die richtigen Worte und die Stärke gefunden habe, um über diesen Horror zu sprechen. Jetzt fühle ich mich viel besser. Ich werde weiter laut sein.

Bekommen Sie etwas von der Lage in Russland mit? Sind viele Menschen gegen den Krieg?

Viele Leute in Russland glauben der Propaganda. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man die Wahrheit laut ausspricht, um die Menschen zu retten, die in der Propagandawolke verloren sind. Ich bin sicher, es gibt viele, viele Menschen aus Russland, die diesen Krieg verurteilen. Russland ist nicht die Regierung. Sondern das Volk. Aber sie haben einfach Angst. Putin hat alles getan und wird weiter alles tun, um sie zum Schweigen zu bringen.

In Spanien hatten Sie Ihr Coming-out. Konnten Sie in Russland nie frei sein?

Die Regierung verurteilt gleichgeschlechtliche Liebe, es gibt homophobe Gesetze. Die Kirche verurteilt Homosexualität auch, daher ist die Ablehnung gegenüber homosexuellen Menschen in der Gesellschaft verankert. Aber ich war müde, irgendwer zu sein. Ich wollte mich nicht länger verstecken. Ich weiß, wie schwierig das Leben für LGBT-Personen in Russland ist. Als ich klein war, hat mir ein Vorbild eines offen homosexuellen Menschen gefehlt, um nicht zu leiden und mich selbst zu verstehen.

Sie tragen ein Tattoo mit „HOPE“ (Hoffnung) am Hals. Wie viel Hoffnung haben Sie aktuell noch?

Ich hoffe einfach, dass Putin bald verschwinden wird, dass der Krieg endet, dass Russland wieder frei sein wird. Putin stiehlt uns gerade alles, er zerstört alles. Aber natürlich glaube ich an ein anderes Russland in der Zukunft. Ich glaube daran, dass das Gute eines Tages siegen wird. Aber das Wichtigste ist jetzt, dass der Krieg so schnell wie möglich endet. Europa sollte die Ukraine mehr unterstützen. Wir müssen nun alle zusammen für die Freiheit kämpfen. Freiheit für die Ukraine! Nein zum Krieg!

Interview: Nico-Marius Schmitz

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