Washington – Als Oliver Kahn unsere Zeitung im Mannschaftshotel The Ritz-Carlton in Washington D.C. empfängt, wirkt er tiefenentspannt. Bei einem eiskalten Milchkaffee nahm sich der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern fast eine Stunde Zeit, um über den aktuellen Transfersommer und die neue Münchner Luxus-Mannschaft zu sprechen.
Herr Kahn, seit diesem Sommer scheint Ihre Laune dauerhaft gut zu sein. Warum?
Warum sollte ich nicht? Ich bin sehr entspannt, weil die Dinge bei uns funktionieren. Man merkt, wie gut unsere Zusammenarbeit im Verein greift, das sieht man ja auch an den Ergebnissen in diesem Transferfenster.
Den Großteil des Kaders hat der FC Bayern nun bereits beisammen.
Ja, wir haben den größten Teil unserer Hausaufgaben früh erledigt und brauchen nicht mehr am Ende der Transferperiode in Hektik irgendwelche Aktionen machen. Das war mir wichtig. Ich hatte Hasan gleich zu Beginn meiner Amtszeit gesagt, dass es unser Ziel sein muss, unsere Transfers möglichst früh abzuwickeln.
Auch für den Trainer ist es wichtig, dass er die Mannschaft früh in der Saisonvorbereitung komplett beisammenhat.
Dieses Jahr ist es noch wichtiger, weil die Saison schon Anfang August anfängt. Sonst startest du in die Spielzeit, und dann kommen auf einmal noch neue Spieler, die erst noch integriert werden müssen. Es war dieses Jahr wichtiger denn je, frühzeitig am Ball zu sein.
In den vergangenen Jahren hat der FC Bayern nicht so große Investitionen auf dem Transfermarkt getätigt. Woher kommt auf einmal das Geld?
Wir haben wirtschaftlich in den vergangenen zwei, drei Jahren natürlich auch gelitten. Aber es ist uns trotz der Pandemie gelungen, profitabel zu bleiben und Gewinne auszuweisen. Das zeigt die finanzielle Substanz, die wir haben. Der FC Bayern wird auch nach dieser Transferperiode in der nächsten Saison finanziell und wirtschaftlich sehr stark sein. Ich habe immer gesagt: Wenn ich die Verantwortung habe, werde ich vieles anstoßen, aber niemals das wirtschaftliche Fundament dieses Klubs gefährden.
Theoretisch könnte der FC Bayern also noch einen Top-Star in dieser Transferperiode verpflichten?
Es gibt keinen Bedarf, dass wir uns jetzt noch mal mit Spielern in der Größenordnung von Matthijs de Ligt beschäftigen.
Warum nicht?
Weil unseren Transfers eine Philosophie zugrunde liegt: Wir holen internationale erfahrene Top-Stars wie einen Sadio Mané und Matthijs de Ligt gezielt dazu. Am wichtigsten ist aber, dass wir Spieler unter Vertrag haben, die unser Gerüst bilden. Das Ganze ist wie ein Gemälde, an dem wir immer wieder weitertüfteln. Aber nicht um jeden Preis, und wir können den Markt nach unseren bisherigen Transfers in Ruhe beobachten.
Welche Rolle spielen Sie bei Transfers? In der Öffentlichkeit wirkt es so, als ob Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der Technische Direktor Marco Neppe und Trainer Julian Nagelsmann den Hauptjob erledigen.
Wir haben unsere Rollen klar definiert. Führen bedeutet für mich, dass jeder in seinem Bereich die Möglichkeit haben sollte, bestmöglich zu performen. Wir haben uns in den vergangenen Monaten zusammengesetzt und überlegt, wie wir im Transferbereich in Zukunft bestmögliche Ergebnisse erzielen. Dann haben wir die Aufgaben klar verteilt.
Wie sieht das aus?
Jeder weiß genau, was er machen muss. Michael Gerlinger (Vice President Sports Business and Competitions, Anm. d. Red.) ist da ebenso integriert wie unser Vorstand Jan-Christian Dreesen, der bei uns auch für die Finanzen verantwortlich ist. Die Aufgaben sind auf mehrere Schultern verteilt, wobei Hasan letztendlich für den Sport verantwortlich ist. Am Ende trage ich als Vorstandsvorsitzender die Gesamtverantwortung.
Oft kritisiert, nun gefeiert: Wie haben Sie die Entwicklung von Salihamidzic wahrgenommen?
Ich kenne Hasan seit vielen Jahren, deshalb hat mich seine Entwicklung nicht überrascht. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, jedem ein Umfeld zu schaffen, in dem er seine Stärken entfalten kann. Meine Zusammenarbeit mit Hasan ist dafür ein gutes Beispiel. Es ist wichtig, dass man ein Vertrauensverhältnis hat und weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann. Wir arbeiten so gut zusammen, weil wir beide immer die Interessen des Vereins im Vordergrund sehen. Das alles gilt im Übrigen genauso für Herbert Hainer, mit dem wir als Präsident und Aufsichtsratschef immer in enger Abstimmung sind.
Gab es den zuvor angesprochenen Aufgaben-Plan im letzten Transfersommer noch nicht?
Im vergangenen Sommer war Pandemie – und der Transfermarkt noch schwieriger als ohnehin schon. Das war außerdem eine Übergangsphase. Karl-Heinz Rummenigge hatte aufgehört, ich bin langsam reingekommen. Aber nach den Erfahrungen vom vergangenen Sommer haben sich Herbert Hainer, Hasan und ich uns zusammengesetzt und gesagt, wie wir es nun machen werden.
Was macht Sie zuversichtlich, dass die aktuelle Mannschaft eine neue Epoche prägen kann?
Wir haben eine sehr gute Mischung aus Top-Stars, erfahrenen und auch jungen Spielern, die sich unter Julian Nagelsmann entwickeln sollen. Julian hat eine klare Vorstellung von seinem Spiel und jetzt noch ein paar mehr Spieler bekommen, die er dafür braucht. Sadio und Matthjis bringen viel Mentalität rein. Wegen der Unterbrechung durch die WM im Winter wird es die härteste Saison ever. Um da das Niveau halten zu können, brauchen wir einen starken, breiten Kader. Wir können jetzt auch Ausfälle ersetzen, ohne dass zu viel an Substanz verloren geht.
Glauben Sie, dass die Mannschaft auch dauerhaft in Europa die Nummer eins sein kann?
Sie ist schon seit einem ganzen Jahrzehnt unglaublich erfolgreich. Nicht umsonst steht der FC Bayern in der Fünfjahreswertung der UEFA-Klubrangliste auf Platz eins. Trotzdem dürfen wir nicht nachlassen. Im Gegenteil. Was werden Manchester City und Paris alles aufwenden, um die Champions League zu gewinnen! Die internationale Konkurrenz entwickelt sich ständig weiter. Dem müssen wir uns stellen.
Kann man diesen Transfersommer mit dem von 2006/07 vergleichen, als nach dem vierten Tabellenplatz Spieler wie Klose, Toni und Ribéry verpflichtet wurden?
Es ist jetzt nicht so, dass wir eine Katastrophen-Saison hinter uns haben – damals war die Stimmung jedenfalls wesentlich brisanter. Wir sind jetzt Meister geworden, zum zehnten Mal in Serie. Nur haben wir dieses Aus im Viertelfinale der Champions League und den Zweitrunden-K.o. im DFB-Pokal gehabt, was keinem bei uns gefallen hat.
War es eine Trotz-Reaktion?
Nein, aber der Aufruf für uns Verantwortliche, dass wir uns weiterentwickeln müssen, um weiter an der Spitze zu bleiben. Wir haben so viele Beispiele in der Vergangenheit gesehen, dass Vereine, die so erfolgreich waren wie der FC Bayern, es irgendwann mal nicht mehr waren. Dazu habe ich keine Lust. Nicht mit mir!
Für die Champions League scheint dieser Kader ideal zu sein, für die Bundesliga womöglich aber wieder zu stark für die Konkurrenz. Macht der FC Bayern damit die heimische Spielklasse nicht noch unattraktiver?
Das ist diese Quadratur des Kreises: Einerseits müssen wir uns so stark wie möglich aufstellen, um europäisch ganz vorne mitzuspielen. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss – so war es zumindest in der Vergangenheit –, dass wir in der Bundesliga sehr dominant sind. Das können aber nicht wir ändern, weil das ein Thema ist, das die Konkurrenz angeht. Deswegen finde ich es gut, dass sich Dortmund gezielt verstärkt hat und angreifen will. Das trifft auch auf Leipzig zu. Wir wollen Meister werden, aber wir haben auch nichts dagegen, wenn es am letzten Spieltag ist. Wir haben immer ein Interesse, dass wir international superstark sind, aber auch, dass die Bundesliga superstark ist.
Wie entscheidend ist Nagelsmann bei Transfers? Ist er ein Spieler-Magnet?
Er ist ein wichtiges Puzzleteil bei Transfers, denn er erklärt den Spielern, wie er Fußball spielt und welche Rolle sie im System einnehmen können. Das ist das, was den Spieler am meisten interessiert. Die Überzeugung, die ein Trainer dem Spieler mitgibt, ist sehr wichtig.
Bei aller Lobhudelei: Was machen Sie eigentlich, wenn die Saison nach diesen großen Investitionen schiefgeht?
Ich habe überhaupt keine Sorgen, dass die Saison schiefgeht. Natürlich kann es mal Schwierigkeiten geben, wie in jeder Spielzeit. Aber das werden wir dann gemeinsam moderieren. Wenn wir erkennen, dass es ein Problem gibt, haben wir alle genug Erfahrung, um Lösungen zu finden.
Wie gehen Sie mit Druck um?
Ich spüre keinen Druck.
Nie?
Mittlerweile nicht mehr. In meiner Zeit als Spieler war das völlig anders. Mir macht es Spaß, im Team zu arbeiten, den Verein, der mir so viel gegeben hat in meinem Leben, an der Spitze zu halten, ihn weiterzuentwickeln. Vielleicht hängt das auch mit meinem Alter zusammen, aber ich spüre keinen Druck. Was nicht heißen soll, dass mich alles kaltlässt. Gierig nach Erfolg bin ich zum Beispiel noch immer, und ich will mit diesem Klub viel reißen.
Interview: Philipp Kessler