München – Seit November 2019 ist Michael Köllner, 52, Trainer des TSV 1860 – eine Verbindung, die sportlich und medial Aufmerksamkeit erzeugt, abzulesen sogar in den aktuellen Programmzeitschriften. Vor dem Drittligastart am Samstag in Dresden erzählte der Trainer mit einem Lächeln: „Ich bin mit drei Kanälen großgeworden: ARD, ZDF und BR. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich auf allen drei Kanälen innerhalb von zwei Wochen zu sehen bin, hätte ich es nicht geglaubt. Am Samstag laufen wir in der ARD, gegen Dortmund im ZDF und gegen Oldenburg im BR.“ Unser Interview mit dem Löwen-Coach, der große Pläne hat in der Liga und im DFB-Pokal.
Herr Köllner, bei einer Umfrage zu den Aufstiegsfavoriten gaben Sie an: Dresden, Ingolstadt und Aue. Gar nicht festlegen wollte sich dagegen Ihr Dynamo-Kollege Markus Anfang. Wer stapelt besser tief?
(lacht) Also, ich kann Markus Anfang verstehen – weil er mit einer neu gewürfelten Mannschaft ins Rennen startet. Herausfordernd für einen Absteiger, aber der normale Lauf der Dinge. Und was uns angeht, sehe ich es so: Die Absteiger haben ein größeres Budget – auch aufgrund des DFL-Rettungsschirms.
19 von 20 Trainern legen sich auf Dresden fest, die Löwen werden nur neunmal genannt. Ist man da als Löwe gekränkt?
Ich werde nicht nach einem Sieg zum Gegner hergehen und sagen: Schaut her, ihr habt uns nicht auf dem Schirm gehabt! Ich nehme die Umfrage wahr, aber auch die Wettanbieter, wo man das wenigste Geld bekommt, wenn man auf uns setzt.
Der Spielplan will es, dass der Topfavorit gleich den, nun ja, Geheimfavoriten empfängt. Ein echter Kracher zum Start. Ist man da auch als Trainer ähnlich gespannt wie ein Fan?
Ja, natürlich, schon aufgrund der Konstellation. Wir haben neun neue Spieler, Dresden gefühlt 20 – und einen neuen Trainer. Es ist sicherlich das Spiel dieses Spieltags. Punkt.
Präsident Robert Reisinger sagt: Dortmund ist das wichtigere Spiel. Seine Begründung: Eine Niederlage in Dresden könne man in 37 Spielen ausgleichen, eine im DFB-Pokal gegen Dortmund nicht.
Ich weiß, was er damit ausdrücken will. Ich selber sehe es anders: Am Ende kann jeder Punkt fehlen, das haben wir selber schon erfahren. Am liebsten möchte ich natürlich beide Spiele gewinnen (grinst).
Reisingers Meinung zu Ihnen ist übrigens: Köllner passt als Typ zu 1860 und kann gerne eine Ära prägen wie Christian Streich in Freiburg. Werten Sie das als Angebot zur Vertragsverlängerung?
Ich kann mich noch gut an meine Zeit in Nürnberg erinnern. Da hatten mir das auch viele Leute im Aufsichtsrat zugesichert. Arsène Wenger von Nürnberg, hieß es damals. In exakt sechs Tagen hat sich deren Meinungsbild geändert und dieselben Aufsichtsräte haben dafür gesorgt, dass ich meinen Job los war. Von dem her bin ich ein gebranntes Kind. Gleichwohl weiß ich es zu schätzen, dass die Vereinsführung mit meiner Arbeit zufrieden ist – und auch die andere Gesellschafterseite. Ich hoffe mal, dass das jetzt zumindest für die bevorstehende Saison gilt. Was danach kommt – darüber zerbreche ich mir noch nicht den Schädel.
Was müsste passieren, dass Sie Ihre Trainerkarriere nicht in München fortsetzen?
Also grundsätzlich möchte ich am Ende als ein Trainer wahrgenommen werden, der nicht viele Wappen auf der Brust gehabt hat. So wie ich erzogen wurde, wäre es für mich kein Ruhmesblatt zu sagen: Ich war jedes Jahr woanders. Für mich ist es wichtig, dass ich etwas entwickeln kann. Ob das jetzt hier ist oder woanders, ist auch eine Frage der sportlichen Perspektive und der Wertschätzung, die man erfährt.
Maßgeblich bei Ihrer Vereinswahl ist auch, was Ihre Frau sagt, richtig?
Ja, absolut. Das eine ist die Perspektive, das Umfeld. Passt ein Verein zu mir? Das andere ist das Persönliche: Ich werde auf jeden Fall keinen Verein mehr trainieren, wo ich eine Familientrennung akzeptieren muss.
Apropos Familie: War das intern ein Thema, dass Ihr Stiefsohn Alex Freitag auch hier spielt, womöglich ein Politikum, Stichwort Vetternwirtschaft?
Nein, nie. Beim Alex war’s so, dass er hier in der zweiten Mannschaft gespielt hat und gute Leistungen gezeigt hat – auch im Training der Lizenzmannschaft. Und jetzt bei den Profis ist das ja eher schwierig für ihn. Die Hemmschwelle, ihn mal so richtig in den Senkel zu stellen, ist bei ihm natürlich geringer als bei anderen Spielern (lacht).
Sie sagten mal, dass Ihre Frau jeden Morgen alle Zeitungen kauft und Ihnen teilweise vorliest. Nervt das oder freut Sie diese intensive Anteilnahme an Ihrem Beruf?
Punkt eins: Sie nimmt mir dadurch viel Arbeit ab, filtert vieles. Punkt zwei: Die großen Tageszeitungen in München zu verfolgen, ist sicher kein Bildungsnachteil. In gewisser Weise ist meine Frau mein Lesezirkel, nicht nur für sportliche Themen, auch für politische und lokale.
Müssen Sie sich auch manchmal was anhören, so nach dem Motto: Warum musste jetzt diese Aussage sein?
Kommt natürlich auch mal vor. Ich bin ja medial gesehen kein Taktierer. Ich bin wie ich bin – und wenn mir Dinge nicht passen, dann wäge ich vorher nicht ab, ob die Aussage gut ist für mein Image oder nicht so gut. Menschen mit Ecken und Kanten werden doch überall weniger.
Sie halten ja grundsätzlich nicht mit Ihren Meinungen hinter dem Berg. Ukraine, Waffenlieferungen, Corona. Weil einfach raus muss, wenn Sie etwas aufwühlt?
Ganz so ist es nicht, aber wenn ich einen Missstand erkenne, dann sehe ich es als meine Pflicht an, dass ich darauf aufmerksam mache. Wenn niemand was sagt, passiert am Ende auch nichts. Ich finde: Man muss auch mal anprangern. Deswegen wollte ich früher Pfarrer werden. Ähnlich ist es jetzt in meiner Position als Fußballlehrer: Wenn ich etwas zu sagen habe, dann hören mir in der Regel mehr als drei Leute zu. Am Ende geht es auch um Zivilcourage. Wenn etwas auf der Straße oder in der Gesellschaft passiert und kein Mensch interessiert sich mehr dafür, dann gute Nacht.
Zurück zum Sport: Wie lassen sich die Ziele des Vereins erreichen, ohne den typischen, offensiven Köllner-Stil aufzugeben?
Wenn eine Mannschaft ohne Trikots Fußball spielt, dann sollte im Idealfall einer sagen: Das ist eine Mannschaft von Michael Köllner. Das wäre für mich der größte Ritterschlag, wertvoller als jeder zählbare Erfolg. Und trotzdem: Jedes Team definiert sich auch über die einzelnen Spieler. Ich denke, dass wir genug Veränderungen angestoßen haben, um jetzt maximal erfolgreich zu sein.
Es waren ja auch schmerzhafte Personalentscheidungen dabei. Welche Trennung fiel Ihnen am schwersten?
Jeder Spieler, der geht, ist ein persönlicher Verlust für mich. Nicht nur Richard Neudecker, auch ein Kevin Goden. Mit jedem habe ich Höhen erlebt und Tiefen. Dadurch entsteht ein Band, das einen zusammenhält. Trotzdem muss ich das große Ganze im Blick behalten und Entscheidungen treffen, die für den Verein das Beste sind. Auch wenn mir dabei das Herz blutet. Ich muss mich regelrecht zwingen dazu; Trennungen sind wirklich die schlimmsten Momente.
Halten Sie deswegen Kontakt zu allen Spielern, die Sie mal trainiert haben?
Nicht zu allen, aber 1000 Chats sind locker in meinem WhatsApp-Speicher. Jeder kann mich immer um Hilfe bitten – und am Geburtstag gibt’s sowieso einen Anruf. Oder aktuell auch mal ein kleines persönliches Video. Schließlich war man ja mit dem Herzen bei einem Spieler – und das endet nicht, wenn der Vertrag ausläuft oder sich die Wege trennen.
112 Tage sind es bis zur WM-Pause im November, 17 Spiele in der Liga plus DFB- und Totopokal. Reisinger rät, dass sie in 14 dieser Spiele punkten, also maximal drei verlieren. Können Sie damit leben?
November ist mir zu weit weg – und mein Anspruch ist, dass wir kein Spiel verlieren. Joker setzen ist nicht mein Ding. Was wäre das für ein Signal an die Mannschaft? Am Ende verlieren die gleich die ersten drei Spiele – weil gesagt wurde: Dreimal ist okay . . . (lacht) Warum sollen wir uns immer in unseren Vorstellungen limitieren? Wir haben große Ziele, der Verein ist groß – und wenn wir uns limitieren, dann wird der Verein nie wieder in alter Größe erstrahlen.
Interview: Uli Kellner