Friedrich Kurz, 73, ist – das erfährt man im Gespräch mit ihm schnell – ein bestens vernetzter Mann, in seinem Bekanntenkreis sind Hollywood-Stars, Musiker, Schriftsteller, hochrangige Politiker. Der gebürtige Nürtinger, der lange in den USA und in Berlin lebte, hat die Theaterlandschaft in Deutschland verändert, als er neben den subventionierten Häusern privat finanzierte etablierte. Kurz ging das Wagnis ein, die Andrew-Lloyd-Webber-Musicals wie „Cats“, „Phantom der Oper“ und „Starlight Express“ nach Deutschland zu bringen, er baute eigene Theater, produzierte auch am Broadway. Doch das prägendste Kapitel seines Lebens datiert auf seine frühen Jahre – 1972 geriet Friedrich Kurz als 23-jähriger Manager des US-amerikanischen Olympia-Teams mitten hinein in die Weltpolitik.
Wie wird ein junger Schwabe Manager der amerikanischen Olympia-Mannschaft?
Ich habe am Bethany College in West Virginia mit einem Stipendium ab Herbst 1971 studiert, habe von München gehört und mich bei Walther Tröger, dem Bürgermeister des Olympischen Dorfes, beworben. Es gab Hostessen und sogenannte Hosts. Aufgrund meines Studiums wurde ich für Amerika eingeteilt. Nach zwei, drei Tagen im Dorf spricht mich Don F. Miller an, der nach den Spielen Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der USA wurde: „Fritz, wir haben keinen Manager. Würdest du das machen?“ Tröger war einverstanden, und ab da saß ich im US-Hauptquartier.
Was waren Ihre Aufgaben?
Ich war für alles zuständig, bei mir ging man ein und aus. Wenn jemand eine Frage hatte, war ich verantwortlich, dass sie geklärt wurde. Und dann traf ich Avraham Melamed, sein Spitzname lautete Beynush. Er war 1964 und 68 Olympia-Schwimmer für Israel, in Mexiko im Endlauf gegen Mark Spitz, nun war er als Trainer der Israeli dabei. Ich kannte ihn, weil ich mit seiner Schwester in Bethany studierte; er war am West Liberty College, wir hatten Fußball gegeneinander gespielt. Beynush hat mich zur israelischen Olympia-Mannschaft eingeladen, ich habe alle kennengelernt, wir sind in Schwabing zusammen ausgegangen, spät nach Hause gekommen und über den Zaun geklettert. Ein, zwei Tage danach kam der Überfall.
Am 5. September. Die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ überfiel die israelische Mannschaft in der Connollystraße 31. Einigen der Angegriffenen, darunter Ihrem Freund Avraham Melamed, genannt Beynush, gelang die Flucht. Die Terroristen setzten Ultimaten, am Nachmittag waren auch Bundeskanzler Willy Brandt und Innenminister Hans-Dietrich Genscher im Dorf, um zu verhandeln. Das haben Sie aus nächster Nähe miterlebt.
Es herrschte ein Riesenchaos. Ich glaube mich zu erinnern, dass Tröger mich in sein Büro mitnahm, weil er um meine Beziehung zu den Israeli wusste. Ich stand neben Willy Brandt. Er war schweißüberströmt und hat Golda Meir (Israels Ministerpräsidentin, d. Red.) angerufen. Sie hat gesagt: „Mister Brandt, this is your problem“ und hat aufgelegt. Ich habe die Stimme noch im Ohr, sie hatte ja in Amerika studiert und sprach sehr gutes Englisch. Brandt versuchte, Anwar as-Sadat, Ägyptens Präsidenten, zu erreichen. Der hat überhaupt nicht abgenommen. Brandt fragte: „Was machen wir jetzt?“ Ich sagte: „Herr Brandt, ich bin deutscher Student, auch wenn ich die amerikanische Olympia-Uniform trage, ich bin zufällig Manager der US-Mannschaft, mein Freund Beynush ist Mitglied des israelischen Teams, deswegen bin ich mit den Israelis so eng. Wenn ich sie wäre, würde ich das Problem aus dem Dorf hinaus verlegen.“ Das habe ich tatsächlich gesagt. Hans-Dietrich Genscher hat sich dann als Geisel angeboten, ich meinte zu ihm: „Herr Genscher, ich bin 23 und habe keine Ahnung, aber in einem bin ich mir sicher: Dieser strumpfumhüllte Wahnsinnige von der PLO, der vom Balkon aus verhandelt hat, wird sie nicht gegen die Geiseln eintauschen.“ Genscher hat gesagt, man könne es ja mal probieren. Zehn Minuten später war er wieder da.
Geiselnehmer und Geiseln wurden nach Fürstenfeldbruck geflogen.
Ich habe mitgekriegt, dass man die Geiseln gefesselt in einen Helikopter gebracht hat. Gegen Mitternacht war ich fix und alle und bin ins Bett gefallen. Die letzte Nachricht in der Tagesschau lautete, dass alle Geiseln befreit wären. Morgens um drei steht dann Beynush an meinem Bett und sagt: „Alle ermordet.“ Das ist, was ich hautnah erlebt habe.
Am 6. September war die Trauerfeier.
Gustav Heinemann, der Bundespräsident, blickte sich im weiten Rund um und sagte: „Jede Fahne ist in Frieden entstanden.“ Dann übergab er an Avery Brundage, den Präsidenten des IOC, und der sagte: „The Games Must Go On.“ Ich schrieb dann in einem Artikel, als ich zurück am Bethany College war, dass es mir vorkam wie ein „The Show Must Go On“. Bis zum heutigen Tag ist das für mich ein gigantischer Fehler. Beynush sprach vom „schlimmsten Moment der olympischen Idee“. Ich konnte das Stadion danach nicht mehr betreten.
Wie haben Sie Ihre israelischen Freunde erlebt?
Gefasst, nur eine Schwimmerin hat bei der Trauerfeier bitterlich geweint. Später habe ich Beynush gefragt, wie die Israelis das alles überhaupt ertragen können. Er sagte: „Fritz, wir sind an der Front geboren und daran gewöhnt, wir wachsen so auf.“ Was er mir auch sagte, als ich ihn fragte, warum Golda Meir nicht weiter mit Willy Brandt gesprochen habe: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen.“ Das habe ich vor zwei Jahren Angela Merkel erzählt, mit der ich nach einem Abend mit Wolf Biermann im Berliner Ensemble Wein getrunken habe. Wir kamen auf das Thema Olympia 1972. Sie sagte: „Damals hatte ich noch eine Krawatte um von der FDJ (Freie Deutsche Jugend, d. Red.).“ Ich erzählte ihr, dass ich überzeugt bin, dass die PLO mit Hilfe des DDR-Geheimdienstes ins Dorf eingestiegen ist. Die Stasi hatte einen direkten Draht zur Bader-Meinhof-Gruppe, die war zur Ausbildung im Libanon, und auch ihre in Stammheim inhaftierten Mitglieder sollten damals freigepresst werden. Die Verbindungen sind offensichtlich. Ich habe oft fast Schläge bekommen, wenn ich das behauptet habe.
Inwieweit hat, was Sie in München erlebt haben, Ihren weiteren Werdegang beeinflusst?
Es hat mein ganzes Leben geprägt. Ich stehe auf der Seite Israels, das war schon vor München so. Als 13-, 14-Jähriger bin ich durch Europa und nach Nordafrika getrampt, habe eine Jüdin aus Birmingham mit ihrem Mann getroffen und habe mich für Auschwitz entschuldigt. Sie hat liebevoll den Arm um mich gelegt und gesagt: „Friedrich, das hat mit dir nichts zu tun.“ Mein Vater war bei der Waffen-SS gewesen, ich hatte harte Diskussionen mit ihm – mit 18 bin ich von zuhause abgehauen. 1972 in München habe ich mich als Deutscher geschämt. Klar, man wollte weg von Berlin 1936, wollte zeigen, dass wir keine Nazis sind – aber wenn so etwas passiert, dann muss man sich auch der Wahrheit stellen. Man kann nicht – wie Frank-Walter Steinmeier es gemacht hat – für Israel sein und bei Arafat (Palästinenserführer, d. Red.) einen Kranz niederlegen. Manchmal hilft Appeasement-Politik nicht. Heute haben wir die Problematik mit Putin: Mit Terroristen kann man nicht verhandeln. Wir sind jetzt wieder bei München, und wir Deutsche sollten es gelernt haben. München hat meine Sicht der Welt geprägt. Man kann nicht neutral sein, das ist falsch und naiv. Ich bin nicht neutral, es gibt eine Seite, die richtig ist.
Interview: Günter Klein