Die Attraktion aus dem Lido

von Redaktion

Der Südtiroler Klaus Dibiasi und die Schönheit der Sprünge von Brett und Turm

Klaus Dibiasi (74) ist eine Sportlegende. Der einzige Turmspringer, der dreimal in Folge Olympia-Gold gewinnen konnte: 1968, 72, 76, dazu kam eine Silbermedaille 1964. In verschiedenen Funktionen – als Trainer und Funktionär – war er bei acht weiteren Spielen. Der Südtiroler lebt heute mit seiner Frau Laura Schermi, natürlich eine ehemalige Wasserspringerin, in Rom, wo er die EM im Schwimmen für den Europäischen Verband LEN mit vorbereitet. Sein Neffe Michael Kemenater trainiert Springer, unter anderem bei der SG Stadtwerke München.

Klaus Dibiasi, über Sie ist der schöne Satz zu lesen: „Er hat das Wasserspringen so radikal verändert wie die Beatles die Musik.“

Das hat Giorgio Cagnotto gesagt, mein großer Freund und Rivale. Wir sind beide 1947 geboren, er im Juni, ich im Oktober. Er war wichtig für mich und ich für ihn, ohne ihn wäre ich nicht so gut gewesen. Giorgios Spruch mit den Beatles haben die Medien gerne übernommen und immer wieder zitiert.

Die andere Bezeichnung für Sie: „Der blonde Engel aus Bozen“.

Weil ich eben sehr groß und blond war. Giorgio Cagnotto war dunkelhaarig und kleiner. Mein Freund, der schwarze Teufel (lacht).

Ihr Trainingsrevier war das „Lido“, das Bozener Freibad, das viele Touristen kennen. Es muss eine Attraktion gewesen sein, wenn Sie da zu Brett und Turm hochgestiegen sind.

Stimmt schon, die Leute saßen rund ums ganze Becken und hatten ihre Füße im Wasser. Wenn da so viele zugeschaut haben, war das für mich eine zusätzliche Stimulation.

1964 Tokio, 1968 Mexiko, 1972 München, 1976 Montreal – das waren Ihre Spiele als aktiver Springer. Dreimal sehr weit entfernt, aber einmal, in München, quasi ein Heimspiel.

Ein sehr enger Freund von mir betrieb das Hotel Corona in Fassa, er ist 1971 nach München gefahren, um Fotos von der Baustelle Olympia-Schwimmbad zu machen, damit wir einen Eindruck bekamen, wie das aussehen wird. Mit ihm sind wir in einer Gruppe hin- und zurückgefahren. Ich weiß noch, wie wir auf dem Rückweg im Autoradio vom Attentat durch den Schwarzen September erfahren haben. Wir dachten: Ist das denn möglich? Wir waren vor ein paar Stunden doch noch dort, alles war so friedlich. Die Überwachung im Olympischen Dorf war nicht sehr streng gewesen, wenn wir jemanden reinbringen wollten, haben wir ihm eine Sportjacke gegeben und er konnte ungestört reingehen. Das wurde danach alles zehnmal schwieriger – aber ein Glück, so finde ich, dass man die Spiele in München fortgesetzt hat. Man kann Athleten, die sich lange vorbereitet haben, nicht einfach sagen, dass es vorbei ist.

Hatten Sie in München Heimvorteil?

In Tokio und Mexiko hatte ich mich kaum verständigen können, das war in München schon mal anders. Im Publikum waren viele Italiener, Bekannte aus Bozen, definitiv eine gute Unterstützung. Was die Atmosphäre bestimmte: Ich musste mein Gold von Mexiko bestätigen, die Medien warteten darauf.

Zuerst war das Kunstspringen vom 3-Meter-Brett.

Da hat Giorgio Cagnotto Silber gemacht, es wäre seine Chance auf Gold gewesen. Leider hat er den Auerbach zweieinhalb daneben gelegt, und der Russe Vladimir Vasin ist seine Serie durchgesprungen. Ich wurde knapp Vierter, aber das hat mir nichts ausgemacht, weil für mich der 10-m-Turm wichtig war. Da hatte ich dann einen großen Vorsprung und war ganz ruhig.

Ist eine Sprunganlage eigentlich überall auf der Welt gleich – oder muss man sich auf jede neu einstellen?

Bei den Sprungbrettern ist es so: Die stellt seit 1958 nur eine einzige Firma her, aus Amerika, sie hat einen Flugzeughintergrund, das Material ist ein elastisches Aluminium, Duraflex. Auf diesem Brett springt die ganze Welt. Es entwickelt sich natürlich weiter. Die neueste Garnitur ist sehr performant, ein starker Springer drückt ein 1-Meter-Brett mit der Spitze ins Wasser, der Sprung vor dem Aufsatzsprung führt zu noch größerer Höhe und noch schwierigeren Sprüngen, das wird auch bei der Bewertung honoriert. Diese Verbesserung des Bretts bringt es mit sich, dass die Frauen die Sprünge der Herren zeigen. Und was den Turm betrifft: Die Plattform ist immer dieselbe – da ergibt sich Verbesserung durch die Technik und die körperliche Vorbereitung. Die Deutschen haben 1972 in München unsere Sprungkraft analysiert und Jahre später gesagt: „Ihr Italiener wart die stärksten und konntet am höchsten springen.“ Ein schöner Sprung ist, wenn er hoch in die Luft geht.

Familiensache, dass Sie so gut wurden?

Mein Vater Karl, der 1972 auch italienischer Nationaltrainer war, hat an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teilgenommen, er wurde Zehnter vom Turm. Er war der Pionier des Wasserspringens in Südtirol, das war für ihn und seine Turnerfreunde eine Möglichkeit, Akrobatik ohne große Gefahr zu trainieren. In Bozen war 1932 das Lido entstanden, da hat er die ersten Schauspringen veranstaltet. Es hatte eine 7.5-Meter-Plattform, die hat er später weggenommen und auf 10 Meter erhöht. Am Montiggler See haben Freunde und er aus Baumstämmen einen 10-Meter-Turm gebaut, der wirkte romantisch, war aber zu gefährlich, und man durfte ihn nicht mehr nutzen. Ein Handicap für mich war, dass in Bozen erst 1968 ein Hallenbad fertiggestellt wurde. Ich musste mich auf zwei Olympische Spiele ohne Wintertraining vorbereiten. Wir sind ersatzweise in die Sporthalle und haben abends von acht bis halb zehn mit Trampolin und Matratzen trainiert. Besonders die Schraubentechnik war dadurch ausgefeilt. An den Sonntagen sind wir 40 Kilometer nach Trient ins Hallenbad gefahren, da gab’s ein 3-Meter-Brett. Wir hatten übrigens immer eine sehr kleine italienische Springer-Mannschaft, in München nur Giorgio und mich, wir haben alle Wettkämpfe, die es nur gab, zusammen bestanden. Und mit Horst Görlitz hatten wir bis kurz vor München einen deutschen Trainer, der uns die Technik beigebracht hat.

Gibt es beim Wasserspringen eigentlich so etwas wie Taktik oder einen Matchplan? Und reagiert man durch die Wahl der Sprünge auf das, was die Konkurrenz macht?

Man muss 24 Stunden zuvor ein Sheet abgeben, auf dem die Sprünge eingetragen sind, man kann sie im Wettkampf nicht mehr wechseln. Aber wenn alle ihr Papier eingereicht haben, bekommt man einen Ausdruck – und man sieht natürlich im Training, was die Gegner machen und ob sie Sicherheit haben. 1976 in Montreal hatte ich Achillessehnenschmerzen und konnte die Woche vor dem Wettkampf kaum springen und nur zuschauen. Es hat aber mit Erfahrung noch einmal gereicht. Mein neuer Antagonist war Greg Louganis aus den USA. . .

Der Dominator nach Ihnen, Doppelolympiasieger 1984 und 88.

Er war in Montreal 16, ich 29. Greg hatte eine unglaubliche körperliche Begabung, er war elegant, kraftvoll und sprang die Sprünge, die nach meiner Zeit kamen. Er war Erster im Vorkampf, hat aber im Finale einen Sprung daneben gelegt. Ich bin nach Montreal nicht mehr weitergegangen, 1980 in Moskau war ich schon als Trainer von Giorgio Cagnotto, er holte Bronze.

Wurde das Springen, das immer schon die vielleicht spektakulärste Olympia-Disziplin war, noch spektakulärer?

Ich habe mal eine Aufzeichnung von 1951 gesehen: Ein mexikanischer Springer zeigte zeigte vom Turm einen viereinhalbfachen Salto – fantastisch, aber im Wettkampf nicht vorgesehen; früher war vieles limitiert, Sprünge etwa aus dem Handstand rückwärts gab es nicht, die Entwicklung war gebremst. Dann kam eine neue Formel, um die Schwierigkeit zu berechnen, sie ist dadurch gestiegen. Dreieinhalb Auerbach rückwärts und viereinhalb vorwärts, das macht heute fast jeder. Und Synchronspringen ist dazugekommen. Eine Anlage benötigt am besten drei 3-Meter-Bretter nebeneinander. Und die Plattform des Turms muss drei Meter breit sein, damit die Springer sich nicht berühren.

Interview: Günter Klein

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