London – Es gibt solche Momente, die eine Karriere verändern können. Merle Frohms erzählt gerne, dass sie sich die Sequenz vom 9. November 2019 schon unzählige Male angeschaut hat. England gegen Deutschland, fast 78 000 Menschen waren zu Spottpreisen zu diesem Freundschaftsspiel gelockt worden, als Frohms einen Elfmeter verschuldete. Nikita Parris lief an – und Frohms parierte. Ein Aufstöhnen auf den Rängen. Für Frohms war die Großtat ein Startschuss. „Daran erinnere ich mich gerne“, sagte die 27-Jährige. Sie ist eine der tüchtigsten Torhüterinneb des Turniers.
Aber auch Gegenüber Mary Earps hat erst einen Gegentreffer zugelassen. Mit aufgeblasenen Backen hat sie sich oft auf den Boden plumpsen lassen, aber auch waghalsige Paraden gezeigt, die ihr viele nicht zutrauten. Dass sie nicht immer die Trainingsfleißigste war, einige Kilo zu viel mit sich herumtrug, ist aus ihrer Zeit beim VfL Wolfsburg bekannt. Dort war sie 2018/2019 Ersatztorhüterin hinter Almuth Schult. Genau wie Frohms viele Spielzeiten.
Auch auf dem Feld finden sich interessante Schnittmengen. Gibt es gerade bessere Rechtsverteidigerinnen als Giulia Gwinn und Lucy Bronze? Die Deutsche, beste Nachwuchsspielerin der WM 2019, und die Engländerin, Weltfußballerin 2020, interpretierten ihre Rolle so modern wie möglich. Hinten abgeklärt verteidigen, vorne mutig mitspielen. Man muss aber so ehrlich sein, dass die 30-jährige Bronze, sieben Jahre älter als Gwinn, das Toplevel darstellt. Der „Sunday Telegraph“ hat über die Tochter eines Portugiesen und einer Engländerin zuletzt geschrieben: „In jedem Löwenrudel gibt es eine Löwin, die stärker als die anderen ist. Sie ist die stärkste Killerin.“
Neben Bronze kommt auch Millie Bright sehr breitschultrig daher. Sie ist mit Chelsea zwar fürchterlich in der Champions League beim VfL Wolfsburg unter die Räder gekommen, aber sie hält mit gutem Stellungsspiel und umsichtigem Aufbauspiel das Team zusammen. Eigentlich hatte die 28-Jährige mal von einer Karriere als Springreiterin geträumt – jetzt ist sie heimliche Chefin der „Lionesses“. Eine ähnliche Rolle gibt auch Marina Hegering, die nur gegen Frankreich erste Unsicherheiten verriet. Ansonsten ist ihre Spielweise der von Bright gar nicht unähnlich. Sollte die 32-Jährige nicht spielen können, wäre das ein großer Verlust.
Eine Reihe davor sind Lena Oberdorf und Fran Kirby zentrale Figuren – die eine mehr defensiv, die andere mehr offensiv. Was Oberdorf mit erst 20 anbietet, ist uneingeschränkte Weltklasse. Wuchtig, willensstark, widerstandsfähig. Grätscht wie Sergio Ramos. Kirby wurde vom ehemaligen Nationaltrainer Mark Sampson mal „Mini-Messi“ genannt. Den tödlichen Pass beherrscht die 29-Jährige. Ihr liebster Adressat ist dabei nicht mehr Ellen White, aber dafür kommt Beth Mead groß raus. Die 27-Jährige hat mit sechs EM-Toren dasselbe Level wie die auferstandene Alexandra Popp vorzuweisen, obwohl die Arsenal-Angreiferin mit Vorliebe von außen nach innen zieht, während die 31 Jahre alte DFB-Kapitänin ihrer engen Beziehung zum einstigen Frauen-Aushilfstrainer Horst Hrubesch alle Ehre macht. Zwischen Popp und Mead besteht eine nette Parallele: Beide sind ausgesprochene Hundeliebhaberinnen. Der von Mead heißt „Rona“; der von Popp ja „Patch“. Einer wird am Sonntag wegen des jubelnden Frauchens vermutlich laut bellen. fh