Augsburg – Andrea Herzog hatte für den weiteren Verlauf des Sonntags andere Pläne gehabt: „Ich wollte noch heim nach Leipzig fahren.“ Schließlich hatte sie diesen Sommer genügend Zeit zum Training in Augsburg verbracht, „das waren acht bis zehn Wochen“. Doch spontan entschied sie sich um und blieb noch: „Kaffee mit Freunden und Familie. Und wir werden sicher noch eine Feier haben.“ Das deutsche Kanuslalom-Team räumte bei den Weltmeisterschaften in Augsburg nämlich groß ab – und Andrea Herzog hatte daran ihren Anteil mit Gold im Canadier. Neben zwei Titeln und einer Silbermedaille in den Mannschaftswettbewerben stiegen die Deutschen mit einer Bilanz von dreimal Gold und zweimal Bronze aus den vier bislang olympischen Booten. Dazu kam Bronze für Stefan Hengst im skicrossartigen Extreme, der 2024 olympisch sein wird.
Das Niveau von Tokio 2021 (ein Olympiasieg, drei dritte Plätze) wurde mindestens bestätigt. Man kann in dieser Sportart halt Olympische Spiele und Weltmeisterschaften schwer miteinander vergleichen. Dazu erzählt man am besten die Geschichte von Sideris Tasiadis und Franz Anton, beide 32 Jahre alt, die am Ende des Canadier-Rennens am Sonntag nebeneinander standen und sich füreinander freuten. Bei Olympia gibt es auch für eine Kanuslalom-Großnation wie Deutschland nur einen Startplatz, die knüppelharte Ausscheidung hatte für die Spiele 2012, 16 und 20/21 der Augsburger Tasiadis gewonnen und zweimal Bronze mitgebracht. Der Leipziger Anton musste sich ersatzweise bei Weltcups und WMs austoben. Wie eng es zwischen den beiden zur Sache geht, das zeigte sich auch in Augsburg: Franz Anton fuhr die Bestzeit im Halbfinale, in dem die zehn Teilnehmer für den Endlauf ermittelt werden, Tasiadis war da Dritter. Im Finale war es umgekehrt: Tasiadis lieferte einen solch wilden Parforceritt über die Strudel, die Wellen und durch 25 Tore, dass er sich zum Gold stechpaddelte, Anton landete auf dem Bronzerang: „Ich kann es schneller – nur nicht im Finale.“
„Bei der WM 2018 war Franz Erster und ich Dritter“, erinnerte Tasiadis, dem Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) in die Arme fiel. „Wir haben geknuddelt“, sagte der neue Weltmeister, der von Beruf Polizist und in seiner Heimatstadt ziemlich populär ist. Jeder kennt die tragische Geschichte vom Krebstod seiner früheren Freundin Claudia Bär, auch sie eine Kanutin, Augsburg nahm dann Anteil an Olympia-Erfolgen und neuem privaten Glück von „Sidi“ und freut sich, dass sein Hund ihn neben der Strecke begleitet. Um den Hals trug Hündin Milou ordnungsgemäß eine Akkreditierung mit Foto.
Eine Augsburger Geschichte wurde auch bei den Frauen geschrieben. Nach dem Olympiasieg im Kajak holte sich Ricarda Funk den WM-Titel. „Megageil“ fand sie das. Seit zehn Jahren lebt die Ahrtalerin in Bayerisch-Schwaben. Hier wird sie im Kampf ums Olympia-Ticket angetrieben von der Augsburgerin Elena Lilik, die völlig beseelt zu Bronze paddelte und von der WM einen komplette Medaillensatz (Gold und Silber in den Teams) mitnahm. Ihre Chance sucht Lilik auch im Canadier und in der neuen Disziplin Extreme, doch da verfehlte sie die Finals: „Powermäßig wäre es gegangen, doch konzentrationstechnisch war es schwierig“, sagte die 23-Jährige nach den Ausverkauft-Tagen (7300 Zuschauer) am Eiskanal.
Den Startplatz-Flaschenhals wird Olympia beibehalten, auch IOC-Präsident Thomas Bach, am Samstag in Augsburg, wird das nicht abschaffen können. Die alten Kämpfer Tasiadis und Anton stimmten sich in aller Kameradschaft schon mal auf die nächsten zwei Jahre ein. Tasiadis: „Das mit uns wird bis Paris so weitergehen.“