Herr Kimmich, zum Liga-Start spielt Bayern am Freitag in Frankfurt. Wie schätzen Sie den Gegner ein?
Frankfurt ist generell immer unangenehm. Das ist eine Mannschaft, die eine ganz beeindruckende Mentalität hat, die auch übers Kämpferische kommt. Sie haben aber in der letzten Saison gezeigt, dass sie auch spielerisch was draufhaben – gerade wenn man die Europa League verfolgt hat. Da haben sie mit Barca auch einen sehr großen Namen besiegt. Sie haben sich zudem gut verstärkt, speziell mit Mario Götze. Man hat schon das Gefühl, dass die Frankfurter einiges vorhaben.
Was kann man von Mario Götze noch erwarten?
Ich freue mich, dass er wieder in der Bundesliga ist und dass wir uns direkt wiedersehen. Gerade für die Liga ist es ganz gut, einen Spieler mit so einer großen Qualität zu haben.
Wie weit ist der FC Bayern bereits?
Es waren auf jeden Fall zu viele Gegentore beim Supercup in Leipzig. Eines war nach einer Ecke, das andere aus einem Elfmeter. Beim dritten wurden wir beim Stand von 4:2 ausgekontert. Da müssen wir uns weiterhin verbessern. Gerade die Standards waren in der letzten Saison eine große Stärke von uns –sowohl offensiv als auch defensiv. Generell tut es immer weh, nach einem Standard ein Gegentor zu bekommen, weil es ein recht einfach zu verteidigendes Gegentor ist.
Vorstands-Boss Oliver Kahn wollte aufgrund der Wackel-Defensive in der zweiten Halbzeit in Leipzig „keine Diskussion“ lostreten.
Natürlich will man das nicht. Trotzdem wissen wir, dass wir da auf jeden Fall noch Arbeit haben. Auch offensiv, selbst wenn wir da fünf Tore gemacht haben. Wir müssen uns weiterhin verbessern. In der Vorbereitung lag der Fokus eher auf Intensität und Umfang. Man muss sagen, wir haben wirklich sehr viel und hart trainiert. In der vergangenen Woche haben wir den Fokus mehr aufs Taktische gelegt. Das wird auch wichtig sein, damit wir dann schnell in gewisse Abläufe reinkommen, so wie man das schon in Leipzig phasenweise sehen konnte.
Ihr hattet insgesamt eine sehr kurze Vorbereitung, eine Woche davon habt ihr in den USA verbracht.
Generell habe ich die Vorbereitung fast länger empfunden als die vergangenen Jahre. Gefühlt war es bei mir immer so: Ich bin aus dem Urlaub gekommen, und eine Woche später haben wir Supercup gespielt. Dementsprechend hatten wir in diesem Jahr einen Tick mehr Zeit. Rückblickend gesehen war unsere Vorbereitung natürlich dennoch kurz. Ich glaube, bei mir waren es drei Wochen. Davor standen ja noch die vier Spiele bei der Nationalmannschaft an. Trotzdem reicht die Zeit aus. Man hat jetzt definitiv Lust, dass es wieder losgeht. Gerade das Leipzig-Spiel hat sehr viel Spaß gemacht.
Da wären wir schon beim Thema Belastung: Am Ende des Jahres steht die WM an. Spielen das Turnier und der straffe Zeitplan bis dahin schon eine Rolle in Ihrem Kopf?
Komischerweise bei mir noch nicht. Obwohl es eine Rolle spielen sollte, weil sich der Terminkalender wegen der WM in diesem Jahr komplett verschiebt. Wir haben jetzt ein paar normale Wochen, und dann geht es ziemlich schnell los mit den englischen Wochen. Ich glaube, dann muss man schauen, wie man da durchkommt. Ich bin jemand, der sich extrem darauf freut, wenn man mehr spielen kann und weniger trainieren muss. Für den Trainer wäre es andersrum bestimmt schöner, wenn man mehr Inhalte in die Einheiten packen kann.
Für wen ist ein solches Mammut-Halbjahr anstrengender: Ihren Kopf oder Ihren Körper?
Das sehen wir dann. Je nachdem, wie die Saison läuft. Einer Winterpause steuert man schon immer gerne entgegen, vor allem weil es hintenraus normalerweise viele Spiele in engerer Taktung sind. Es hängt aber auch von unserer Saison im Verein ab, ob man mental stark beansprucht ist. Ich hoffe, dass wir eine erfolgreiche Hinrunde in allen Wettbewerben spielen, um mit einem guten Gefühl zur WM zu fahren.
Also, wenn Bayern bis zur Winterpause in allen Wettbewerben top ist, wird Deutschland mit dem Münchner Block auch Weltmeister?
Das hoffe ich. Das ist das Ziel auf jeden Fall. Das eine hängt allerdings nicht vom anderen ab. Aber natürlich geht man mit einem besseren Gefühl zur Nationalmannschaft, wenn man vorher im Verein erfolgreich war. Gerade über die vier Nations-League-Spiele im Sommer war ich am Ende ganz froh, weil wir sonst – obwohl wir Deutscher Meister wurden – die Saison gefühlsmäßig ein bisschen negativ abgeschlossen hätten, da wir hintenraus dann noch verloren und ein paar Mal unentschieden gespielt haben. Da hatten wir nicht so ein positives Gefühl.
Wie gehen Sie mit der Belastung um?
Ich muss ein bisschen darauf achten, dass ich die Belastung vielleicht noch gezielter steuere. Auch in einer englischen Woche mache ich die eine oder andere Extraeinheit, weil ich glaube, dass es mir guttut. Lieber ein bisschen mehr trainieren statt nur zu regenerieren zwischen den Spielen. Ich habe das Gefühl, dass ich ansonsten Spannung verlieren könnte und ein wenig aus dem Rhythmus komme. Aber prinzipiell bin ich in der Vergangenheit damit ganz gut gefahren. Ich habe in den letzten Jahren ein gutes Körpergefühl entwickelt, um zu wissen, was ich brauche und was nicht.
Worauf wird Wert gelegt, wenn Sie mit Ihrem Freund und Fitnesscoach Tim Lobinger trainieren?
Das kommt darauf an, wann wir spielen. Es ist immer eine Mischung aus Stabilität, Dehnen, Oberkörper- und Beinkraft sowie Schnellkraft. In der Vorbereitung machen wir auch mal Laufschule und Koordination. Unabhängig vom Trainer-Dasein ist Tim ein guter Freund für mich. Anstatt wir uns zwei Stunden ins Café setzen und reden, gehen wir in den Kraftraum und machen was nebenher. Es fühlt sich nicht wie Arbeit an. Es ist einfach ein cooles Verhältnis.
Müssen Sie sich zwingen, dass Sie mal Pause machen?
Nein. Das ist auch durch meine Kinder einfacher geworden, weil ich an einem freien Tag nicht so viel Zeit habe, noch zusätzlich zu trainieren. In der Vergangenheit war es so, dass mir mal langweilig wurde und ich gesagt habe: Komm, jetzt kannst du noch was machen. Das ist nun anders.
Wie ist eigentlich Ihr Schlaf mit drei Kindern?
Sie schlafen gut, deswegen haben auch wir relativ viel Ruhe in der Nacht. Die Kinder führen eigentlich fast dazu, dass wir mehr Schlaf haben, weil wir abends kaputt ins Bett gehen. Es kann schon mal sein, dass wir um 22 Uhr schlafen und um 7 Uhr wieder wach sind. Das ist manchmal besser, als wenn man am Wochenende alleine unterwegs wäre. Die Kinder geben uns einen guten Rhythmus.
Beim DFB wurde den Spielern ein Ring gezeigt, der unter anderem das Schlafverhalten anzeigt.
Eine Zeit lang habe ich den Ring oft getragen, bis ich mir irgendwann eingebildet habe, dass ich damit schlechter schlafe als vorher, weil ich mir zu viele Gedanken darüber gemacht habe, dass die Aufzeichnungen und Daten auch gut sind (schmunzelt).
Nervt es Sie, dass Spieler immer gläserner werden?
Es ist wichtig, dass man für sich selbst rausfindet, wo man noch Potenzial hat und was man auch weglässt. Man kann nicht alles machen. Es ist schwierig, sich überall zu verbessern. Ich finde es aber richtig gut, dass diesbezüglich beispielsweise der DFB uns Spielern Optionen schafft und anbietet – ob das jetzt in den Bereichen Ernährung, Schlaf oder sonst wo ist.
Sie wurden hinter Manuel Neuer und Thomas Müller zum dritten Kapitän beim FC Bayern ernannt. Setzten Sie sich auch mit dem Thema Führung auseinander?
Ich habe tatsächlich Bücher darüber. Nicht bewusst, sondern weil mich das Thema generell interessiert. Dass ich zum dritten Kapitän aufgestiegen bin, ist eine schöne Sache, aber jetzt nicht entscheidend für mich. Es hat mir aber vor Augen geführt, dass ich schon sieben Jahre hier bin und nach Manu und Thomas am drittlängsten das Trikot des FC Bayern trage – gemeinsam mit Kingsley Coman. Bei so einem Verein wie Bayern München ist das nicht selbstverständlich.
Wie interpretieren Sie Ihre Führungsrolle?
Ich versuche, Neuzugänge gut zu integrieren und mich vor allem mit dem großen Ganzen zu beschäftigen. Nicht nur mit der eigenen Leistung. Natürlich muss das immer die Basis sein, aber es ist schon sehr wichtig, dass das ganze Team gut spielt und eine gute Einheit ist. Das hat sich über die Jahre und durch meine eigene Entwicklung schon verschoben. Natürlich will man immer gewinnen, aber am Anfang ist man als junger Spieler schon mit sich selbst beschäftigt, weil man um seinen Platz kämpft. Gerade als Youngster ist man immer auf dem Prüfstand. Wenn man sich einen Stammplatz ergattert hat und Verantwortung übernimmt, geht es immer mehr darum, sich darum zu kümmern, dass die Mannschaft eine gute Leistung abliefert. Das ist etwas, was mir Spaß macht und mit dem ich mich gerne beschäftige.
Inwiefern ist der aktuelle Kader mit neuen Stars wie Sadio Mané oder Matthijs de Ligt stärker als vergangene Saison?
Gefühlt sind wir auf jeden Fall in der Qualität breiter geworden. Wenn ich mich im Training umgucke und wir Elf gegen Elf spielen, ist schon sehr viel Potenzial auf dem Platz. Wenn man dann auch sieht, welche Spieler bei uns gegen Leipzig noch eingewechselt wurden: Wenn ich mich in die Außenverteidiger von RB hineinversetze und 60 bis 70 Minuten gegen Serge Gnabry und Jamal Musiala verteidigt habe – und dann kommen Leroy Sané und Kingsley Coman rein, da müsste ich schon mal schlucken. Wir haben auch in der Defensive eine brutale Qualität, wenn Matthijs de Ligt oder Nous Mazraoui reinkommen. Ryan Gravenberch und Mathys Tel sind ebenfalls top. Man hat aber auch gemerkt, dass es für die Neuzugänge ein anderes Training war, weil wir sehr intensiv arbeiten. Das wird ihnen auch guttun. So manch einer braucht da vielleicht noch die ein oder andere Woche. Aber ich glaube, wir sind sehr gut aufgestellt.
Auch ohne den zum FC Barcelona abgewanderten Robert Lewandowski?
Die fehlenden Tore von Lewy müssen wir erst mal kompensieren. In Leipzig hatten wir beim 5:3 fünf verschiedene Torschützen. Das war gut. Trotzdem glaube ich, dass man das generell nicht unterschätzen darf. Es wird wichtig sein, dass wir das im Kollektiv auffangen. Und ich bin überzeugt, das werden wir auch.
Inwieweit sind Sie in die Kaderplanungen des FC Bayern miteingebunden?
Man kriegt schon mit, wo der Verein Bedarf sieht. Aber das merkt man natürlich auch selbst, wenn Lewy, Niklas Süle oder Coco Tolisso gehen. Aber es wird nicht über Namen diskutiert. Womit ich mich aber beschäftigt habe und was mir auch ein Anliegen war, war die Vertragsverlängerung von Serge. Da habe ich schon nachgebohrt. Aber ansonsten ist man Spieler und die anderen sind für den Kader verantwortlich. Es ist kein Wünsch-dir-was.
Haben Sie sich bei Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Ihrem Kumpel Serge Gnabry über den Stand der Verhandlungen informiert?
Da habe ich schon nachgebohrt, aber eher auf Vereinsseite. Serge wollte ich nicht so sehr beeinflussen. Also, eigentlich schon. Aber nicht ihn direkt (lacht). Es war mir schon sehr wichtig, dass er für sich die richtige Entscheidung trifft. Ich hätte es brutal schade gefunden, wenn er sich anders entschieden hätte, als seinen Vertrag vorzeitig zu verlängern. Aber wenn es anders gekommen wäre und es sich für ihn richtig angefühlt hätte, hätte ich mich auch für ihn gefreut.
Worauf legt Julian Nagelsmann als Trainer des FC Bayern besonders viel Wert?
Seit der letzten Woche wurde es taktischer, in allen Mannschaftsteilen hatten wir Videositzungen. Der Fokus liegt darauf, dass wir weniger Gegentore bekommen, dass wir uns in jeder Hinsicht verbessern, was das Verteidigen angeht. Wir müssen aber auch schauen, dass wir die fehlenden Tore von Lewy auffangen. Aber prinzipiell haben wir im Training sehr viele Spielformen, sehr viele Übungen mit Ball. Wir machen viele Dinge, bei denen wir auch den Kopf einschalten müssen. Kopf und Körper sind schon gut beansprucht.
Thomas Müller sagte in unserem Interview vor ein paar Wochen, dass er genau das super finde.
Julian macht sich brutal viele Gedanken, auch wie er spielerisch Inhalte transportieren kann. Je nachdem was er sehen möchte, lässt er sich etwas einfallen – auch mit Regeln in den Spielformen. Dadurch ist das Training sehr vielseitig und immer anders. Selbst beim Abschlusstraining ist es so, dass man oft etwas anderes macht.
Wie finden Sie die neu installierte Videoleinwand auf dem Trainingsplatz?
Am Anfang dachte ich: „Boah, das ist eine Spielerei.“ Gerade in der vergangenen Woche haben wir aber viel damit gearbeitet. Die halbe Sitzung haben wir im Auditorium gemacht, die andere Hälfte auf dem Platz. Für uns Spieler geht es manchmal sehr schnell bei ihm. Das kennt ihr Journalisten ja auch, dass Julian sehr viel Inhalt in einer kurzen Zeit erklären kann. Deshalb ist es gut, dass man es auf dem Platz auf der Leinwand sehen, korrigieren und umsetzen kann. Wenn es beispielsweise darum geht, wie wir anlaufen wollen oder wie wir hinten rausspielen wollen. Dann zeigt er es auf der Leinwand und wir versuchen, es dann so zu machen. Dann verfestigt sich das im Kopf. Das Ding ist vermutlich sehr teuer. Aber ich glaube, dass es uns sehr helfen kann.
Zudem kommt demnächst ein weiterer blickdichter Vorhang um einen zweiten Trainingsplatz. Inwieweit ist dies für euch als Mannschaft wichtig?
Mich stört es nicht, dass die Fans die Einheiten verfolgen können. Ich finde es wichtiger, dass – sorry – die Medien nicht immer direkt zugucken und fotografieren können. Manchmal kommt es im Training zu einem Clinch, was völlig normal ist. Aber medial wird danach direkt eine Geschichte daraus. Man ist gefühlt ständig unter Beobachtung. Auch wenn man im Reha-Training ist. Da kann es sein, dass ein sich ans Knie fassen kurze Zeit später wieder in der Zeitung ein Thema ist. Ich finde es sinnvoll, dass da ein weiterer Vorhang hinkommt und man nicht ganz so gläsern ist. So manch unnötige Unruhe kann man damit sicher vermeiden.
Interview: Philipp Kessler, Manuel Bonke