Jones-Counter statt Google Maps

von Redaktion

European Championships: Wie werden die Strecken für Marathon, Gehen, Rad vermessen?

München – Gernot Weigl organisiert seit über 20 Jahren den München Marathon. Für die „European Championships Munich 2022“ wurde er vom Local Organizing Committee (LOC) eingespannt, bei der Umsetzung der Wettbewerbe im Gehen, Marathon und Straßenradsport zu helfen. „Wir sind zuständig für die technische Umsetzung mit allem Drum und Dran: Bei Behördengängen, der Abstimmung mit der Polizei auf öffentlichem Verkehrsgrund in der Innenstadt – da haben wir die größte Erfahrung.“

20 und 35 Kilometer Gehen – wo findet das statt?

Ja, fangen wir mit dem Einfachsten an. Da haben wir eine Pendelstrecke zwischen Odeonsplatz und Siegestor. Das sind hin und zurück zwei Kilometer. Sie gehen also bei den 20 Kilometern zehnmal, bei den 35 Kilometern siebzehneinhalbmal rauf und runter.

Da erinnern wir uns wehmütig an den Finaleinlauf 1972 von Bernd Kannenberg ins Olympiastadion. Sind Pendelstrecken mittlerweile üblich?

Ja, denn das Regelwerk ist komplex: So können in regelmäßigen Abständen Kampfrichter und -richterinnen positioniert werden, die die Einhaltung der Wettkampfregeln kontrollieren und im Bedarfsfall die Athletinnen und Geher mittels gelben Kellen und roten Karten verwarnen, wenn sichtbar entweder kein ausreichender Bodenkontakt oder keine Kniestreckung erfolgt. Bei drei roten Karten muss man für eine gewisse Zeit in die Penalty-Zone, bei einer vierten erfolgt die Disqualifikation. Also: Pendelstrecken sind üblich und sinnvoll.

Der Marathon ist nicht eine große Schleife wie bei Ihrem Lauf jedes Jahr im Oktober, sondern geht über vier Runden…

… plus eine Einführungsrunde von 2,195 Kilometer. Die Marathonstrecke ist vorab in großen Zügen geplant gewesen, wir haben nur Adaptionen vorgenommen, wenn es ein technisches Problem gibt wie in der Zweibrückenstraße mit einer riesigen Baustelle mit Gleisverlegung, die am 15. August sicher nicht beseitigt sein wird. Wir haben einen offiziellen Vermesser mit der höchsten Zertifizierung, der darf also die Strecken bei Olympischen Spielen, Welt- und folglich auch Europameisterschaften vermessen. Die Zusatzschleife ist fast identisch mit der Geherstrecke.

Wie vermisst man eine Strecke? Geht das nicht längst mit Google Maps?

Leider nicht. Sondern so, wie es schon in den 80er-Jahren war: mit dem Jones-Counter. Hugh Jones war Marathonläufer mit einer Bestzeit von 2:09 Stunden in London und ist heute Generalsekretär der AIMS (Vereinigung der Marathon-Veranstalter). Er hat ein Zählwerk erfunden, das an einem normalen Rad angebracht wird. Eine zuvor festgelegte und mit dem Stahlmaßband genau vermessene Strecke von 300 Metern wird viermal abgefahren – das ist bei uns auf der Leopoldstraße ein Abschnitt, der schnurstracks verläuft – und der Counter kalibriert. Dann geht es auf die Strecke, dort werden gewisse ,Split points’ gesetzt, von Punkt zu Punkt aufgeschrieben und zusammenaddiert. Wenn es nicht genau aufgeht, sodass wir auf die vorgegebene Streckenlänge kommen, muss man Modifikationen vornehmen und an einem Abschnitt verlängern oder verkürzen.

Und das wurde schon alles gemacht?

Ende Juni, an einem Samstag und Sonntag. Wir haben um 5.30 Uhr angefangen, als kein Verkehr war, und waren die zwei Tage voll beschäftigt. Beim Marathon geht es ja auch darum, die Sehenswürdigkeiten Münchens ins Bild zu setzen.

Was bekommt der Fernsehzuschauer auf einer Runde so alles zu sehen?

Ich gehe mal durch: Odeonsplatz, Reiterdenkmal, Siegestor, Marienplatz, Viktualienmarkt, Gärtnerplatz, an der Isar entlang, Altstadtring, Staatskanzlei, Prinzregentenstraße – und dann haben wir noch eine Ergänzung reingebracht: einen Schlenker zum Friedensengel hoch. Wir haben einen Berg drinnen, an dem sich das Rennen entscheiden könnte.

Bergauf heißt aber auch: Das kann zulasten der Zeit gehen.

Es geht nicht darum, eine Strecke für einen Welt- oder Europarekord zusammenzustellen, sondern für eine Meisterschaft. Zürich hatte bei der EM vor acht Jahren einen sehr anspruchsvollen Kurs. Was die Zeit betrifft, hängt vieles vom Rennverlauf ab – ob gebummelt oder angezogen wird und welche Gruppen sich bilden. Vom Friedensengel geht es wieder runter und über den Englischen Garten auf die Leopoldstraße zum Odeonsplatz. Das ist eine Runde. Diese Strecke , eine Runde, nehmen wir am Nachmittag des Marathontags, des 15. August, für unseren „Run of 22“ mit 2500 bis 3000 Freizeitsportlern über zehn Kilometer. Das organisieren wir als München Marathon mit dem Organisationskomitee der European Championships.

Zuständig sind Sie auch für die Strecke des Straßenradrennens. Die Männer starten in Murnau, die Frauen in Landsberg.

Wir helfen auch hier beim Technischen und den Behördengängen. Die Experten vom Radsport haben die Strecke zuvor schon ausgesucht, wir sind zuständig ab der Theresienhöhe, da gibt es beim Damenrennen zwei Runden durch die Innenstadt – und bei den Herren fünf. Schwanthalerstraße, Stachus, Odeonsplatz – ab da ist es in Teilen die Marathonstrecke.

Bei den Olympischen Spielen 1972 wurde sogar auf der Autobahn zwischen München und Starnberg Rad gefahren.

Autobahnen müssen wir jetzt nicht sperren lassen.

Interview: Günter Klein

Zum „Run of 22“ kann man sich noch anmelden. Teilnehmer erhalten eine Freikarte für die Abendsession der Leichtathletik am 15. August (mit 10 000 m Frauen).

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