Chorzów – Sprinterin Gina Lückenkemper (25) hat sich eine gute Woche vor dem Start der Leichtathletik-EM in München gegen überzogene Kritik nach der deutschen WM-Enttäuschung gewehrt. „Wenn man es einmal in Relation setzt, woher unsere Athleten kommen und was sie sonst alles machen und wie sie sich den A… aufreißen müssen, um gegen diese Vollprofis antreten zu können, finde ich, sollte man eher vor den Athleten den Hut ziehen als über sie herzuziehen“, sagte Lückenkemper dem Pay-TV-Sender Sky. Die EM findet vom 15. bis 21. August statt.
Einige Äußerungen während der WM, wie „von schwachem Fleisch“ im Livestream zu sprechen, habe sie als „sehr respektlos und unverschämt den Athleten gegenüber“ empfunden, sagte Lückenkemper beim Diamond Meeting im polnischen Chorzów nach ihrem Rennen über 100 Meter. Sie belegte dort beim Galaauftritt von Shelly-Ann Fraser-Pryce, die in herausragenden 10,66 Sekunden ins Ziel kam, als beste Europäerin Rang vier. Und zeigte Strahlegesicht: „Mit diesem Platz in so einem Feld kann ich wirklich zufrieden sein. Das gibt auf jeden Fall Selbstvertrauen für die EM“, sagte die Berlinerin.
Mit einem „kleinem Team“ wolle man sich nach der Saison zusammensetzen und „darüber reden, was wir in Zukunft anders machen können, um die Athleten auch von Verbandsseite besser zu unterstützen.“
Lückenkemper hatte nach der WM öffentliche Kritik am deutschen Fördersystem geübet. Sprint-Bundestrainer Ronald Stein hat sich in einem Telefongespräch mit der Berlinerin über die Sportförderung ausgetauscht. „Mein Bundestrainer ist einer von diesen Menschen, der mir auch wirklich zuhört und mit dem ich auch konstruktiv darüber reden und das Ganze auch diskutieren kann und Ansichten diskutieren kann“, sagte Lückenkemper, die in Eugene mit der Sprint-Staffel als Dritte eine von insgesamt nur zwei deutschen Medaillen neben dem Gold für Weitspringerin Malaika Mihambo gewonnen hatte.
Die schnellste Deutsche glaubt, dass ihre Rufe nicht ungehört verhallen. Im Gegenteil. Sie habe durchaus das Gefühl, mit ihren entsprechenden Aussagen „etwas anstoßen zu können“. Nach der WM hatte Lückenkemper erklärt: „Wenn man schon gut ist, wird man auch gut gefördert. Aber solange man sich auf dem Weg dorthin befindet, ist es schwierig.“
Unterstützung bekam die Sprinterin in Polen von Nationalteamkollegin Christina Hering (27). Es müsse jetzt viel dafür getan werden, „dass eben auch in den nächsten Jahren Talente bei der Leichtathletik bleiben und dass es auch attraktiv ist, sich bewusst für den Job als Leistungssportler zu entscheiden“, sagte die Münchnerin.
Auch Hering zeigte in Polen aufsteigende Tendenz und präsentierte sich als sechste und drittbeste Europäerin über 800 Meter mehr als respektabel. Ihr fehlte nur eine Zehntel zur persönlichen Bestzeit.
Und noch eine Athletin findet nach verpatzter WM kurz vor den kontinentalen Titelkämpfen deutlich besser in die Spur. Konstanze Klosterhalfen belegte als zweitbeste Europäerin Rang sieben über 3000 Meter. Die WM-Dritte über 5000 Meter kommt nach einer Corona-Infektion im Frühjahr zunehmend besser in Schwung. Und war entsprechend glücklich: „Daraus kann ich viel Positives für die EM ziehen.“ dpa/sid