10,99 sind besser als 10,99

von Redaktion

Gina Lückenkempers verbissener Lauf zum Gold – mit Wunden

München – Und da war es wieder, das von Berlin 2018 bekannte und beliebte Gina-Lückenkemper-EM-Lächeln, das Strahlen des ganzen Körpers, das jeder Kommunikationstrainer als Lehrbeispiel anführt. Und das dann zu diesem irrsinnigen Rennverlauf passte: „Lücki“, wie ihr Fanclub sie auf Plakaten nennt, wuchtete sich nach einem Aufhollauf ins Ziel, in dem sie sich dann fast überschlug – wovon Blutspuren an linker Hand und Bein Zeugen waren. Als sie noch auf der Tartanbahn lag, löste die Jury die undurchsichtige Finish-Situation mit drei Läuferinnen auf einer Linie auf: Die 10,99 Sekunden von Lückenkemper waren etwas besser als die 10,99 der Schweizerin Mujinga Kambundji, Daryll Neita hatte 11,00 gebraucht.

Lückenkemper biss sich in dieses Finale hinein, den Blick stur nach vorne gerichtet, die Miene verzerrt, als würde sie weinen. Sie wisse nicht, wie sie das gemacht hatte, aber klar: Die Umgebung hatte sie angespornt. Schon nach dem Halbfinale (11,11 Sekunden), in der ihr die Lockerheit fehlte, hatte sie gesagt: „Eine Wahnsinnskulisse hier, unfassbar.“ Was sie dann erlebte, ließ sie den Schmerz der Verletzung, die die Sanitäter behandelten, gar nicht spüren. „Ich bin voller Adrenalin“, schrie sie und animierte die Zuschauer zur Welle.

Lückenkenpers Gold überspielte, dass der deutsche Sprint in der Breite enttäuschte: Rebekka Haase wurde Fünfte in ihrem Halbfinale (es gab drei Läufe), Tatjana Pinto in ihrem Durchgang gar nur Siebte. Die Zeiten – 11,52 und 11.55 Sekunden – sind international bestenfalls zweitklassig und nicht gerade ein Hoffnungsturbo für die 4×100-m-Staffel, die bei der WM in Eugene als Dritte für die angenehmste Überraschung (neben Malaika Mihambos Weitsprung-Gold) gesorgt hatte. Aber vielleicht kommt nun ein Lückenkemper-Effekt.

Von den Männern erreichte keiner das Finale von München, jedoch hinterließ das DLV-Trio, das in den Halbfinals stand, solide Zeiten. Lucas Ansah-Peprah durfte mit seinen 10,19 Sekunden einige Zeit auf den Finaleinzug über die Zeiten der nicht direkt Qualifizierten hoffen, Ansah Owen (10,20) und Julian Wagner (10,21) waren auf dem gleichen Level. Vor allem war der Sprint auch wieder ein Poker im Startblock, den das Kampfgericht in einigen Fällen enden ließ, bevor der Körper auf Touren kam. Im Finale ging es dann korrekt aus den Blöcken – und in 9,95 Sekunden gewann der italienische Olympiasieger Lamont Jacobs vor den Briten Hughes (9,99) und Azuh (10,13), GÜNTER KLEIN

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