München – 400- und 800-m-Läuferin Christina Hering, 27, vor zwei Wochen bei der WM in den USA bis ins Halbfinale vorgestoßen, kämpft als Münchnerin bei den European Championships als Lokalmatadorin um Edelmetall. Im Interview spricht sie über ihren „Arbeitsalltag“, Kniffs und Tricks auf der Laufbahn und erzählt vom Kampf mit der Kopfsache Laufsport.
Frau Hering, Sie haben Sportwissenschaften und Sportmanagement studiert. Haben Sie als Spitzensportlerin einen Vorteil, weil sie die wissenschaftliche Seite kennen?
Ja. Ich finde es spannend, was zum Beispiel die Ernährung alles beeinflussen kann. Mittlerweile kenne ich meinen Körper und kann gut einschätzen, wann ich auch mal Pausen brauche. Aber natürlich spielt auch die mentale Komponente eine Rolle. Das physische Leistungsvermögen ist unter Sportlern sehr ähnlich. Über Sieg und Niederlage entscheidet der Kopf.
Der hat sie zum erneuten Gewinn der deutschen Meisterschaften geführt. Gibt das Auftrieb?
Es sollte mir schon Auftrieb geben. Auch, weil es ein relativ souveräner Sieg war. International geht es aber erst mal darum, jeweils eine Runde weiterzukommen. Ich werde – auch bei den European Championships – versuchen, so weit wie möglich zu kommen. Das Finale ist drin.
Haben Sie Rituale oder Tricks, die Sie anwenden?
Das ist vor allem meine Routine. Ich versuche schon in den Tagen vor einem Rennen, immer die gleichen Abläufe zu haben. Das gibt mir Sicherheit. Aus guten Trainingseinheiten kann ich viel Selbstvertrauen schöpfen. Gerade über die 800 Meter, über die ich körperlich wirklich an meine Grenzen gehen muss. Über diese Distanz ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen und man muss hellwach sein. Mentale Stärke ist einfach wichtig, weshalb ich mir die Hilfe von einem Sportpsychologen geholt habe.
Was besprechen Sie mit ihm?
Jeder muss das gewisse Maß zwischen Fokus und Entspannung finden. Mittlerweile merke ich, wenn etwas in meinem Kopf nicht stimmt. Dann nehme ich mir eine Auszeit, fahre raus in die Berge oder an einen See.
In viel Sportarten wird die Behandlung psychischer Erkrankungen, wenn sie schon da sind, immer wichtiger – gerade im Mannschaftssport. Ist das im Einzelsport ähnlich?
Es findet ein Umdenken statt, dass der Kopf genauso wichtig ist wie der Körper. Es erfordert Mut, sich zu öffnen.
Wie war das bei Ihnen?
Vor sechs, sieben Jahren hatte mir erst mein Umfeld dazu geraten. Das hat aber gar nicht funktioniert. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Hilfe gar nicht brauchte und hatte auch Angst davor. Ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Dann habe ich das erst mal wieder abgebrochen. Erst zwei, drei Jahre später wurde mir der Druck zu groß. Er hat mir komplett den Spaß genommen. Es gab Zeiten, da war der Druck so hoch, dass ich mich nach den Rennen gar nicht mehr an sie erinnern konnte. Ich habe einfach nur noch funktioniert – wie auf Autopilot. Dann habe es noch mal mit einem Psychologen probiert.
Und? Hilft es?
Ja, supergut! Es ist sehr angenehm, jemand Externen zu haben, dem man wirklich alles erzählen kann. Ich habe gelernt, mit der Aufregung besser umzugehen und im Rennen konstant meinen Fokus zu halten. Das kann ich aktuell gut umsetzen.
Sie laufen über 400 und 800 Meter. Ganz doof gefragt: Wieso eigentlich? Sie könnten es doch auch kürzer haben?
(lacht) Tatsächlich ist es so, dass ich die 400 Meter gerne öfter laufen würde, mir dort im internationalen Vergleich aber die Grundvoraussetzungen fehlen. Meine Möglichkeiten über 800 sind größer. Schon als Kind bin ich beide Distanzen gelaufen, da ist man stark abhängig davon, welche Distanz der Trainer lieber mag. Und jetzt noch zu wechseln . . . dafür ist es zu spät. Obwohl ich die Lust dazu hätte, das muss ich sagen.
Interview: Jacob Alschner