Die Jugend der Welt, im friedlichen und fairen Wettstreit vereint – man möchte glauben, dass das vor 50 Jahren in München so war, wo sich die Teilnehmenden auf der Schlussfeier zu einer bunten Menge vermischten, in der keiner mehr seiner Landesflagge hinterherlief. Das harmonische letzte Bild täuscht aber über die Realitäten hinweg: In München wurde auch beherzt gestritten.
Die Amerikaner fühlten sich übervorteilt. In der Leichathletik lief einiges gegen sie: Die Sprintstars Eddie Hart und Rey Robinson wurden rigoros disqualifiziert, weil sie wegen eines falschen Zeitplans, den ihr Trainer hatte und der ihm nach seinen Angaben noch am Tag des Geschehens von einem Kampfrichter bestätigt worden war, Sekunden zu spät zum Zwischenlauf kamen. Die 400-Meter-Läufer Vince Matthews und Wayne Collett wurden wegen ungebührlichen Verhaltens auf dem Siegerpodest nach der Einzelentscheidung vom IOC von der Staffel ausgeschlossen, sodass die USA keine Chance hatten, um eine 4-400-Meter-Medaille zu laufen. Dave Wottle, mit dem sensationellsten Schlussspurt der Spiele 800-Meter-Sieger, wurde rundgemacht, weil er bei der Siegerehrung aus Unachtsamkeit seine Kappe trug.
Eddie Hart, der Jahrzehnte brauchte, um sich mit München zu versöhnen, zählt auch den Stabhochsprung als Beispiel für die systematische Benachteiligung des US-Teams auf. Bob Seagren, dem Olympiasieger von 1968 und Weltrekordler, wurde kurz vor dem Wettkampf der Gebrauch seines Kohlefaserstabs untersagt (Modell „Katapult“), mit dem er die ganze Saison bestritten hatte. Begründung: Die Konkurrenz hatte nicht genügend Zeit, sich auf die Materialneuerung einzustellen. Daher: alter Stab für alle – und es gewann der DDR-Springer Wolfgang Nordwig.
Diskutabel. Ein kerniger Skandal war das Endspiel zwischen USA und UdSSR, das sich in seiner Hitzigkeit bis über Mitternacht erstreckte. Die Amerikaner, Basketball-Nation Nummer eins und daran gewöhnt, Olympia-Gold zu gewinnen, lagen die gesamte Partie über im Rückstand. Bei 48:49 aus ihrer Sicht bekamen sie zwei Freiwürfe zugesprochen, verwandelten sie, waren nun 50:49 vorne. Die Uhr lief ab – amerikanische Jubelszenen. Doch vom Schiedsgericht kam die Ansage: Alle nochmals auf die Plätze, wir haben drei Sekunden. Sie laufen ereignislos ab – wieder tanzen die Amerikaner. Der britische Generalsekretär des Basketball-Weltverbandes ordnet – warum, das ist bis heute ungeklärt – an, es kämen erneut drei Sekunden auf die Uhr. Die US-Spieler nehmen das hin, weil sie nicht glauben, dass die Sowjets, die den Ball von unterm eigenen Korb spielen müssen, noch etwas anstellen werden. Doch sie schaffen das Wunder mit einem historischen Spielzug, die UdSSR gewinnt 51:50. Die Amerikaner verweigern die Annahme der Silbermedaillen. Sie vermuteten ein osteuropäischen Komplott gegen den Westen.
Auch im Feldhockey, einem ausgesprochenen Fair-Play-Sport, endete das Olympiaturnier in der Eskalation: Pakistan ist von der 0:1-Finalniederlage gegen Deutschland so mitgenommen, dass die Spieler die Silbermedaillen um ihre in Händen gehaltenen Pantoffeln kreisen lassen oder abfällig mit ihnen spielen. Das Publikum pfeift, der Hockey-Weltverband spricht lange Sperren gegen die auffälligen Akteure aus.
Der pakistanische Verband bedauert das Verhalten seiner Nationalspieler und spendet zur Wiedergutmachung dem Deutschen Hockey-Bund eine wuchtige silberne Trophäe, um den Willen zur Versöhnung zu untermauern.
Den Pokal aus Pakistan bekommt seitdem der Deutsche Hockey-Meister überreicht. Ende gut, alles gut. „Die Beziehungen zu Pakistan“, so der deutsche Siegtorschütze und spätere Verbandspräsident Michael Krause, „haben unter dem Eklat von 1972 nicht gelitten.“