München – Zehn Siege in 15 Rennen: Max Verstappen (24) ist nach seinem erneuten Triumph in Zandvoort der zweite WM-Titel nur noch theoretisch zu nehmen. Ferrari-Verfolger Charles Leclerc (24) hat schon 109 Punkte Rückstand auf den Red-Bull-Piloten. Dr. Helmut Marko (79) wundert diese fahrerische Dominanz nicht – er kennt Verstappen seit Jahren. Unsere Zeitung sprach mit dem Motorsportchef von Red Bull.
Herr Dr. Marko, erinnert Sie diese Saison an 2011?
2011? Gut, ich weiß, was Sie meinen. 2010 haben wir mit Sebastian Vettel im letzten Rennen den ersten Titel gewonnen. 2011 war die Titelverteidigung dann eher ein Durchmarsch. Bei Max stimmt der Vergleich mit 2010 ein wenig, aber 2011 und 2022 kann man eher nicht vergleichen.
Wieso das? Max fährt in einer eigenen Liga . . .
Ja, aber das ist zum größten Teil Max, der halt über allem schweben kann wie hier in Zandvoort. Das aber ist und war nicht immer so. 2011 war Ferrari als Gegner längst nicht so stark wie jetzt. Sie hatten Fernando Alonso, aber kein so gutes Auto. Dieses Jahr hatte Ferrari einige Defekte und traf bei der Strategie einige Entscheidungen, die uns in die Karten spielten. Aber vom reinen Speed her sind sie auf Augenhöhe. Aber wir haben halt Max.
Wie nah ist er schon an seiner Leistungsgrenze?
Noch lange nicht. Er befindet sich immer noch in einer Lernphase. Auch wenn es unglaublich klingt: Max wird in Zukunft noch besser. Ein Beispiel: Er kann jetzt die gleichen Rundenzeiten oder schnellere als früher mit weniger Risiko fahren. Er lernt immer noch in der Rennübersicht, bei der Einteilung der Reifen und bei der Schonung des Autos. In Budapest konnte man nach dem Start seine Weiterentwicklung sehen. Er hatte Probleme beim Beschleunigen und ließ die anderen Autos einfach vorbeifahren in der ersten Kurve, weil er wusste, er kriegt sie wieder. Vor zwei Jahren hätte er noch dagegengehalten – und ein schlechteres Endergebnis erzielt. Fazit: Den besten Max haben wir noch nicht gesehen.
Eine rhetorische Frage: Ist Max der beste Fahrer seit vielen Jahren?
Er ist ganz sicher der schnellste Fahrer, den Red Bull je hatte.
Also auch schneller als Ihr Vierfach-Weltmeister Vettel . . .
Max braucht keine Aufbauphase, um sofort am Limit zu sein. Er kann sofort Vollgas fahren. Das ist eben das unglaubliche Naturtalent und der daraus folgende exorbitante Grundspeed. Dazu kommt eine fantastische Fahrzeugbeherrschung gerade im Grenzbereich. Deshalb habe ich ihn schon in seinen Anfangsjahren mit Ayrton Senna verglichen. Mein guter Freund Gerhard Berger hat mir damals geschrieben, der Vergleich wäre viel zu weit hergeholt. Heute widerspricht er nicht mehr, wenn man Max mit Senna vergleicht.
Hätten Sie gedacht, dass es eine Steigerung zu Vettel gibt?
Damals nicht. Da dachten wir, dass Sebastian das beste vom Besten ist. Aber dann kam Max.
Welche Ziele haben Sie noch mit ihm?
Weitere Titel zu gewinnen. Aber ich bezweifle, dass wir Max so lange fahren sehen, bis er alle Rekorde gebrochen hat. Auch wenn er es könnte. Aber er ist ein Typ, der sofort seinen Klimbim zusammenpackt und geht, wenn es ihn nicht mehr freut. Dann bleibt er für kein Geld der Welt. Und das kann schneller passieren als alle glauben.
Jetzt, nach Vettels Rücktritt, können Sie es ja sagen: Gab es bei Red Bull vor zwei Jahren Überlegungen, ihn zurück zu Red Bull zu holen?
Wir haben darüber nachgedacht. Wir hatten ein Cockpit frei, das wir dann aber Sergio Perez gegeben haben. Zwei Alpha-Tiere wie Sebastian und Max in einem Team – das wollten und konnten wir uns nicht antun.
Mick Schumacher ist die letzte deutsche Hoffnung. Was halten Sie von ihm?
Er hat schlecht begonnen, ist dann aber zu Superform aufgelaufen. Sein Speed in Silverstone zum Beispiel war extrem beeindruckend. Da fehlt noch ein wenig die Konstanz.
Wenn Gasly Alpha Tauri verlässt, wäre doch ein Platz für Mick Schumacher im Red-Bull-Programm frei . . .
Erstens: Gasly hat für nächstes Jahr einen Vertrag mit uns. Zweitens: Unser Franz Tost hat eine Nähe zu ihm und glaubt an ihn. Solange Mick Schumacher im Förderungsprogramm von Ferrari ist, werden wir uns nicht mit ihm beschäftigen.
Interview: Ralf Bach