Waren das alles Amateure?

von Redaktion

Professionell trainieren, aber nichts verdienen dürfen – das IOC schaute genau hin

VON GÜNTER KLEIN

Karl Schranz hatte nichts Böses getan. Ganz im Gegenteil: Österreichs alpiner Skistar war im Dienst einer guten Sache gestanden. Als Teilnehmer eines Fußball-Benefizspiels im Sommer 1971.

Avery Brundage, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, kam ein Bild von der Veranstaltung Anfang 1972 unter – und der US-Amerikaner schäumte: Auf dem Leiberl von Schranz prangte Kaffeewerbung. Der oberste Olympier griff durch: Verstoß gegen die Amateur-Bestimmungen, Ausschluss von Olympia. Schranz durfte nicht bei den Winterspielen in Sapporo starten – und dieser rigide Ausschluss eines prominenten Sportlers schärfte die Wachsamkeit für München im Sommer.

Olympia war 1972 nicht mehr so streng wie noch 1936, als bei den Winterspielen in Abfahrtslauf, Slalom und Kombination keine Berufsskilehrer mitmachen durften, denn sie stufte das IOC als Berufssportler ein. Bis 1983 stand der Status als Amateur im olympischen Regelwerk. Konkret: Mit der Ausübung des Sports durfte kein Geld verdient werden.

Viele Athletinnen und Sportler bewegten sich vor 50 Jahren in einer Grauzone. Manche hatten das Glück, im Sportstudium (womöglich mit Stipendium) an ihrer Universität professionell trainieren zu dürfen. Oder sie konnten sich vom Arbeitgeber für die Monate der unmittelbaren Vorbereitung freistellen lassen – wie Bahnradfahrer Udo Hempel, der bei Siemens angestellt war. Bernd Kannenberg, der Olympiasieger über 50 Kilometer Gehen wurde, war Berufssoldat – und beim Bund überhaupt erst als Sporttalent entdeckt worden. „Mein Dienstauftrag war, zu gehen“, sagte er. In seiner Dienststelle im Allgäu trimmte er sich für die Spiele. Doch die Bundeswehr als großer deutscher Sportsponsor – das hatte damals noch nicht System.

Reinhold Kauder gewann im Kanuslalom eine Silbermedaille für die Bundesrepublik. Für ihn war sein Sport „ein Hobby – bei den Kollegen aus der DDR hat man aber gemerkt. dass die einen Auftrag zu erfüllen hatten“. Vor allem in den Nationalen Olympischen Komitees von UdSSR und DDR wurde Olympia als Leistungsschau verstanden, um die gesellschaftspolitische Überlegenheit zu beweisen. Daher wurden die besten Sportler aus dem Osten abgesichert: Sie waren Staatsamateure, die die besten Bedingungen und innovatives Material vorfanden. Ihre offiziellen Arbeitgeber waren Armee, Polizei oder die Hochschulen. Wer sich im Sport bewährte, genoss Privilegien bei der Zuteilung von Wohnraum oder der Bestellung von Autos – die Lieferzeiten wurden dann etwas kürzer.

Wollte der Westen auf Dauer mithalten, würde er – das war ihm klar – sich professionalisieren müssen. Auf Initiative von NOK-Chef Willi Daume entstand 1967 die Stiftung Deutsche Sporthilfe, deren erster Vorsitzender der Unternehmer (Kaufhäuser, Reisen) Josef Neckermann wurde, der 60-jährig in München noch Bronze und mit der Mannschaft Silber im Dressurreiten gewann. Zunächst ging es um ideelle Unterstützung und die Absicherung nach der Sportkarriere. Jedenfalls machte Neckermann es möglich, dass bundesdeutsche Sportler sich gezielt für München in Form bringen konnten. Doch es durfte nicht offensichtlich sein, dass jemand nicht nur für, sondern auch von seinem Sport lebt.

Bange Tage musste Familie Gould aus Australien durchstehen. Im Januar 1972, noch vor dem Fall Schranz, hatte Shirley Gould ein Buch über das Training ihrer Tochter, die 1971 alle Freistil-Weltrekorde gebrochen hatte, veröffentlicht: „Swimming the Shane Gould Way.“ Das ließ das IOC durchgehen – und die 15-jährige Shane Gould konnte ein Star der Münchner Spiele werden. Geld verdiente sie keines. Ihr Bar-Vermögen betrug 30 australische Dollar, als sie kurz nach den Spielen, zurück „Down Under“, für ein paar Tage von zuhause ausbüchste.

Überragender Mann im Olympia-Becken war Mark Spitz. Der 22-jährige Amerikaner hatte sieben Goldmedaillen angekündigt – und er gewann sie. Doch schon nach der ersten Siegerehrung hätte er suspendiert werden können – denn er trug in den Händen seine Adidas-Turnschuhe und setzte sie geschickt ins weltweite Fernsehbild. Oh, habe er in der Freude gar nicht bemerkt, entschuldigte er sich. Für Spitz war klar, dass er nach München aufhören würde – nur so konnte er seinen Erfolg zu Geld machen. „Hätte ich Werbeverträge abschließen und weiterschwimmen dürfen, wäre ich 1976 in Montreal noch einmal dabeigewesen“, versicherte er. Mit seinem Rücktritt am 5. September 1972 brachte er Einkünfte in Millionenhöhe auf den Weg.

Wer von 8000 Teilnehmenden an Olympia wie entlohnt wurde, das konnte das IOC gar nicht kontrollieren. Pakistan etwa, das sich auf den Nationalsport Hockey konzentrierte, war offensichtlich bereit, seine Spieler im Erfolgsfall weit außerhalb der Amateur-Richtlinien zu belohnen. Doch zur eingeplanten Goldmedaille reichte es nicht, das Finale gegen Deutschland ging 0:1 verloren – woraufhin die Pakistani sich bei der Siegerehrung äußerst unwürdig benahmen. Michael Krause, der deutsche Siegtorschütze, skizzierte den Unterschied zwischen den Teams: „Für uns stand materiell nichts auf dem Spiel, den Pakistani war für den Olympiasieg ein Haus oder Grundstück versprochen worden.“ Es ging verloren, bevor es gewonnen war.

Manchmal ist es dann doch ein Vorteil, nicht um die Existenz spielen zu müssen, sondern auch noch mit Spaß an die Sache herangehen zu dürfen. Am kommenden Wochenende trifft sich die deutsche Hockey-Goldmannschaft in diesem Geist in München zum Feiern.

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