New York – Es war spät geworden in New York, und dann wieder früh. An Schlaf konnte Carlos Alcaraz (19) nach seinem historischen Sieg aber noch lange nicht denken, das Adrenalin rauschte durch seine Adern. Am Ende einer denkwürdigen Tennis-Nacht saß der Teenager im Bauch des Arthur Ashe Stadiums und versuchte in Worte zu fassen, was ab sofort in den Geschichtsbüchern der US Open stehen wird.
5:15 Stunden hatte er mit Jannik Sinner (Italien) um den Einzug ins Halbfinale gerungen, um 2.50 Uhr – nach fünf fantastischen Sätzen – hatte es der spanische Shootingstar geschafft. „Daran“, sagte Alcaraz, „werden Jannik und ich uns in unserem ganzen Leben erinnern.“ An ein Match, das keinen Verlierer verdient hatte und das so spät endete, wie kein anderes in Flushing Meadows zuvor.
6:3, 6:7 (7:9), 6:7 (0:7), 7:5 und 6:3. Mit einem Ass beendete Alcaraz die Partie, die er bei einem Matchball im vierten Satz gegen sich beinahe schon verloren hatte und die er als beste seiner Karriere bezeichnete: „Vom ersten bis zum letzten Ballwechsel war es eine unglaubliche Qualität von Jannik und mir.“ Die Zuschauer, die auf der Anlage in Queens ausgeharrt hatten, durften glückselig in den Morgen taumeln.
Für Alcaraz begann jedoch ein Wettlauf mit der Zeit, seine Ziele hat er noch nicht erreicht, auch wenn der Teenager nun der jüngste Halbfinalist der US Open seit Pete Sampras 1990 ist; auch wenn er mit Sinner den Rekord des spätesten Matches um fast eine halbe Stunde nach hinten verschob. Alcaraz will viel mehr: seinen ersten Grand-Slam-Titel – und die Nummer eins der Welt werden.
Doch er wird müde sein, wenn er am Freitag auf Publikumsliebling Frances Tiafoe aus den USA trifft, der sich das Match nach seinem 7:6 (7:3), 7:6 (7:0), 6:4 gegen den Russen Andrej Rublew genüsslich im Hotel anschauen konnte. „Es wird sehr, sehr schwer“, sagte Alcaraz: „Er liebt diesen Platz.“ Und das Publikum wird diesmal seinen Gegner anfeuern.
Gegen Sinner hatte er eine besondere Show geboten. Die vielen Wendungen und das irre Tempo, das zeitweise an ein rasantes Tischtennis-Match erinnerten, rissen die Zuschauer im Minutentakt von den Sitzen. Das Level war enorm hoch – und mehrfach sah Sinner wie der Sieger aus. „Es ist nicht einfach, darüber zu sprechen“, sagte der Südtiroler danach mit glasigen Augen: „In der Liste meiner schwersten Niederlagen ist diese oben dabei.“ Seine Hoffnungen zerstoben, Alcaraz kann dagegen weiter alles gewinnen. Diesem Alcaraz ist bereits mit 19 Jahren alles zuzutrauen. sid