München – Hauptsache Berg – nach diesem Motto läuft das Leben von Anton Palzer ab. Was den Berchtesgadener so außergewöhnlich macht: Er beendete als frisch gebackener Vizeweltmeister seine sportliche Karriere – und startete eine komplett neue.
Palzer war einer der weltbesten Skibergsteiger, jetzt sitzt er als Radler im Sattel. Nicht irgendwo, sondern beim Weltklasse-Team Bora-hansgrohe aus Raubling. Gleich im ersten Profijahr 2021 schickte ihn Teamchef Ralph Denk zur Spanienrundfahrt, in diesem Jahr fuhr er die Deutschland-Tour.
Eine Red-Bull-Doku zeigt den ungewöhnlichen Werdegang des sportlichen Ausnahmetalents aus dem Bergsteigerdorf Ramsau. Hier wuchs Toni Palzer auf, dass er das Skifahren schon vor dem Krabbeln lernte, ist zwar nur ein Palzer’scher Scherz. Aber: Für denheute 29-Jährigen bedeutet Skifahren alles. Mit 16 Jahren eröffnete sich ihm der Weltcup-Zirkus der Ski-Bergsteiger. Palzers Schlüsselmoment: die Teilnahme bei den Deutschen Meisterschaften am Jenner in Schönau am Königssee, nur ein paar Kilometer vom Elternhaus entfernt. Per Sondergenehmigung durfte er bei den Erwachsenen mitlaufen. Er gewann mit drei Minuten Vorsprung. „Da war klar: Ich kann in der Welt bestehen“, sagt Toni Palzer über sein altes Ich.
„Skibergsteigen kennt keine Kompromisse“, sagt Palzer heute. Körperlich sei er bereit gewesen, noch viel zu gewinnen, doch irgendwann spielte der Kopf nicht mehr mit. „Ich habe meinen Partnern nicht mehr das Maximale zurückgeben können“, lautete das Fazit des Ramsauers. In ihm wuchs der Wunsch nach Veränderung, das Training auf dem Rad bereitete ihm Spaß. „Wie cool wäre das, mal professionell Rad zu fahren“, beschreibt Palzer seine damaligen Gedankenspiele.
Dann traf er auf Ralph Denk, den Teammanager von Bora. „Toni war an einem Punkt, wo er noch eins draufsetzen wollte“, sagt der. Denk war es, der ihm am Ende die Chance bot. Doch vorher wollte sich Palzer gebührend aus der Ski-Szene verabschieden. „Heute drehe ich durch“, sagt er sich Andorra bei der Weltmeisterschaft 2021. Nach der Ziellinie geht er auf den Boden, er ist Vize-Weltmeister geworden. Palzer weint und ruft seinen Vater an: „Ich habe es mir so gegeben.“
Dann der Sprung in sein neues Sportlerleben, wo er vom Einzelkämpfer zum Teamplayer werden muss. „Wir müssen sehen, wie er sich in der Gruppe bewegen wird“, sagt Denk. „Eigene Interessen müssen hintangestellt werden.“ Erst mal wird er auf Herz und Nieren überprüft, er besteht. „Ein Erfolg wäre es für mich, eine Helferrolle zu übernehmen. Vielleicht mal eine Vuelta fahren“, sagt er. Die Spanientour ist neben der Tour de France und dem Giro d’Italia eine der drei großen Rundfahrten.
Bora-hansgrohe wagt das bisher nie versuchte Experiment: dass einer als Profi sein Debüt gibt und davor noch nie ein Radrennen gefahren ist. „Wie ein Baby im Wasser“, sagt der Teammanager: „Schwimm oder geh’ unter.“
Palzer schwimmt, gibt bei der Tour of the Alps 2021 sein Profi-Debüt. „Als ich am Start stand, hatte ich die Hosen voll“, sagt er rückblickend. Es folgt die Tour de Suisse mit 17 800 Höhenmetern auf acht Etappen. Palzer trainiert wie ein Verrückter – und schafft auch das. Im Team sieht man ihn in der Lage, größere Ziele anzugehen.
Auf „spanische Wurst und Sangria“ freut sich der Rad-Neuling im Vorfeld der Vuelta 2021. Nach 21 Etappen, 3400 Kilometern und 52 000 Höhenmetern ist er am Ziel – und völlig fertig: Ein Sturz auf der sechsten Etappe, Verletzungen an Arm und Bein – aber Palzer sagt: „Beim Radfahren wird nicht überlegt, ob man aufhört. Wenn ich die drei Wochen durchkomme, dann ist die Motivation höher als der Schmerz.“
Nach nur fünf Monaten hat er sich bei den Radprofis etabliert. „Wenn man hart an seinen Träumen arbeitet, kann man alles schaffen“, sagt Palzer. Sein nächster Traum: Einmal beim Giro d’Italia dabei zu sein.