„Es ist wichtig, nicht abzustumpfen“

von Redaktion

Fan-Vertreter Dario Minden formuliert seine Erwartungen an DFB und FIFA

Frankfurt – Zu Beginn der Woche hielt der Deutsche Fußball-Bund in seiner Akademie einen Kongress zum Thema Menschenrechte bei der WM in Katar ab. Ein beeindruckender Moment war, wie Dario Minden, 27, Jurist und Vertreter des Fan-Bündnisses „Unsere Kurve“, den katarischen Botschafter in Deutschland, Scheich Abdullah Binmohammed bin Saud-al Thani, direkt adressierte: „Ich liebe Männer. Sehen Sie ein, dass das normal ist. Fußball ist für jeden da, es spielt keine Rolle, ob du lesbisch oder schwul bist. Er ist für Jungen, für Mädchen und alle dazwischen. Schaffen Sie die Todesstrafe ab und alle Strafen, die mit sexueller Identität zu tun haben.“

Herr Minden, kam es nach Ihrer Rede, die der DFB im öffentlichen Teil des Kongresses streamte, zu einem Austausch mit Katars Botschafter Saud-al Thani?

In der vertraulichen Runde war der Botschafter respektvoll und höflich und gestand meinem Vortrag zu, ausgewogen und fair zu sein. Aber inhaltlich brachte er keine Punkte, die ich nicht schon kannte. Er sagte „Come to Qatar“ und dass die Todesstrafe nur noch auf dem Papier bestehe.

Der Konflikt ist also folgender: Wir haben ein Austragungsland, das bittet, dass man seine Kultur respektiert, und wahrscheinlich würden Sie als schwuler Mann dorthin nicht in Urlaub fahren. Auf der anderen Seite steht der Fußball, dessen große Idee es ist, niemanden auszuschließen, und auch Sie würden vielleicht gerne eine WM vor Ort erleben.

Das ist die Konfliktlinie. In Katar selbst gibt es ja Kontroversen, da sind auch nicht alle begeistert, dass sie nun einem Anpassungsdruck ausgesetzt werden. Da wäre es eben wichtig, dass vonseiten des Weltfußballs Mindeststandards gesetzt werden.

Es gibt auch Übereinstimmungen zwischen dem Botschafter und Ihnen. Herr Saud-al Thani bat, zur Kenntnis zu nehmen, dass Gastarbeiter überhaupt erst nach Katar kommen, weil sie in ihren Heimatländern von drei Dollar im Monat eine Familie nicht ernähren können. Sie wiesen auf die Verantwortung des Westens hin, der nicht auf seine Lieferketten achtet und so zur Ausbeutung eben dieser Länder beiträgt.

Differenzierung ist wichtig, in Überschriften bleibt oft zu wenig hängen. Es gibt einen westlichen Bias, Doppelstandards und Vorbehalte gegenüber anderen Kulturkreisen, die bei Kritik oft durchschimmern. Der Fokus sollte auch auf die eigene Verantwortung gelegt werden.

Sie betonen, dass man auch der arabischen Welt das Recht auf Sportereignisse zugestehen sollte.

Auf jeden Fall, auch wenn es aktuell schwierig ist, wenn man sich die Länder anschaut. Katar ist noch eines der fortschrittlichsten, mit Saudi-Arabien gäbe es ganz andere Probleme.

Weg von einer eurozentristischen Sichtweise, fordern Sie.

Wir sollten uns nicht als Erfinder der Aufklärung und der Menschenrechte aufspielen. Allein schon der historische Aspekt der aktuellen Migrationsbewegung nach Katar: Was wir richtigerweise moderne Sklaverei nennen, verläuft entlang der geografischen Linien des grausamen Menschenhandels, den das britische Empire etabliert hat. Wir machen uns zu wenig Gedanken, welches Leid und Elend der Kolonialismus gebracht hat und wie sehr seine Auswirkungen heute noch verheerend sind.

Sie haben fünf Forderungen gestellt. Zwei stünden zur baldigen Umsetzung an. Die eine: Gewinne aus der WM sollten für die Entschädigung Ausgebeuteter aufgewendet werden. Gab es Resonanz der FIFA?

Die FIFA sagt, dass sie in vielen sozialen Bereichen arbeitet. Doch dass signifikante Summen aus den Gewinnen gespendet werden, da bin ich skeptisch – auch beim DFB. Da heißt es: Was die Nationalmannschaft einspielt, kommt auch den Amateuren zugute. Ich denke, dass der DFB seriös wirtschaftet und auch eine Nicht-Qualifikation wegstecken würde. Was er jetzt in Katar verdient, könnte er auch in einen Fonds stecken. Wenn man sagt, einen Boykott der WM 2022 hätte man vor zehn Jahren beschließen müssen und jetzt gehe das nicht mehr – es muss nicht das volle Programm sein, es gibt auch Zwischenstufen. Sich eine goldene Nase zu verdienen, ist moralisch nicht in Ordnung.

Wie sollten sich Fans in Deutschland, die denken wie Sie, verhalten?

Wir von „Unsere Kurve“ haben uns der Aktion „Nicht unsere WM“ angeschlossen, da ist etwa auch die Koordinierungsstelle Fanprojekte dabei, die in Katar ihre Fanbotschaft betreiben wird. Ich persönlich werde von der WM keine Minute ansehen. Schade, denn ich mochte die WM immer sehr, habe mir auch nachts um drei Spiele angesehen. Mir ist klar, dass diese private Konsequenz nichts ändert, aber es ist wichtig, nicht abzustumpfen und sich die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Ich treffe mich mit Gleichgesinnten, die ebenso angewidert sind von Gianni Infantinos beißendem Zynismus und den Sprechblasen der Branche. Das klingt jetzt nach Selbsthilfegruppe (lacht).

Aber ist ein bewusster Verzicht aufs WM-Schauen, das sich in der TV-Quote bemerkbar macht, nicht ein wertvolles Zeichen?

Durchaus, ja. Vor allem mit Blick auf unseren Kampf um die Wahrung der Fußballkultur hierzulande wäre es gut, dass potenziellen Investoren und Sponsoren signalisiert wird, was hier nicht so gut ankommt. In Anbetracht der Fragen von Leben und Tod rund um die Katar-WM ist das ein nachrangiges Thema, aber natürlich eines, das uns Fans umtreibt. In Katar selbst schätze ich den Umgang mit niedrigen deutschen Quoten samt Unmutsbekundungen so ein, dass darauf verwiesen wird, wie islamophob und besonders verbissen die Deutschen in ihrer Welterklärer-Manier seien und dass man deswegen nichts auf deren Reaktionen geben müsste. Unabhängig davon, inwiefern diese Beschreibung leider auch zutreffen mag, ist es schlicht tragisch, dass sich immer hinter solchen Ausweichargumenten versteckt wird.

Sie sagten beim DFB, Deutschland habe sich seine WM 2006 genauso schamlos gekauft wie Katar das Turnier 2022. Dass eine solche Stimme zu vernehmen ist, wäre vor Kurzem noch unvorstellbar gewesen. Verändert sich der DFB gerade?

Es war schon eine Frage für uns, ob wir die Einladung ablehnen sollten, um nicht als Feigenblatt zu dienen, es gibt auch Fan-Bündnisse, die begründen nachvollziehbar, dass sie an keinem Whitewashing des Verbandes beteiligt sein wollen. Wäre die Wahl im DFB im März anders ausgegangen, wären wir der Einladung nicht gefolgt – und es hätte solch einen Kongress auch gar nicht gegeben. Der DFB ist von seiner Vergangenheit belastet, schwerfällig und bräsig, doch es gibt begründete Hoffnung, dass sich langsam, aber sicher etwas zum Besseren verändert.

Interview: Günter Klein

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